Dünengrab
erklärt hatte. Noch ein Stück weiter links geriet der Schornstein der Werlesieler Brauerei in sein Blickfeld. Inzwischen hatte er sich an den schwankenden Horizont gewöhnt, fokussierte nach und musterte den Bereich genauer. Das Areal war selbst aus der Ferne noch sehr groß. Es gab dort sicher einige Möglichkeiten, jemanden zu verstecken und im Verborgenen dunkle Leidenschaften auszuleben. Neben der Brauerei fanden sich keine Straßen oder Gebäude mehr. Tjark entdeckte lediglich ein paar alte Umzäunungen.
»Die Brauerei hat es Ihnen angetan, oder?«, hörte er Ruven hinter sich sagen.
»Warum?«
»Sie sind heute Mittag dort gewesen.«
»Sagt wer?«
»Einer meiner Mitarbeiter hat am Getränkelager einen defekten Zaun inspiziert. In dem Zaun ist ein Loch – vermutlich waren das Jugendliche, um ein paar Kisten Bier zu stehlen. Meinem Kollegen ist ein Z4 mit Einschusslöchern auf dem Firmengelände aufgefallen. Ich kenne nur eine Person in Werlesiel mit so einem Wagen. Und nun betrachten Sie die Brauerei und den Uferstreifen aus einem anderen Blickwinkel. Als Nächstes werden Sie mich fragen, ob die Brauerei eine eigene Anlegestelle hat.«
»Hat die Brauerei eine eigene Anlegestelle?«
»Es gibt keine.«
»Der Landstrich neben der Brauerei …«
»… ist ein ehemaliges militärisches Übungsgelände. Das ist jetzt Naturschutzgebiet«, erklärte Ruven. »Sie glauben, der Mörder fährt mit einem Boot los, um die Leichen abzuladen?«
Tjark nahm das Fernglas herunter und drehte sich um. »Was Sie sich dabei denken, ist nicht mein Problem.«
Ruven schmunzelte und hob abwehrend die Hand. »Den Satz habe ich von Femke bestimmt schon hundertmal gehört. Ich wundere mich nur etwas.«
»Worüber?«
»Ich habe im Radio gehört, dass die Sonderkommission verlegt wird. Das Rathaus ist heute geräumt worden.«
Tjark nickte nur schwach. Berndtsen hatte offenbar ganze Arbeit geleistet und bereits eine Pressemitteilung herausgegeben. »Sie haben uns den Tipp mit den Feiern in der Brauerei gegeben und auch den Tipp, dass Vikki auf dem Matjesfest war. Das waren wertvolle Hinweise, denen wir weiter nachgehen.«
»Man tut, was man kann.«
»Sie sind häufig bei Werlesieler?«
»Ja, die Brauerei ist einer unserer Großkunden.«
»Hatten Sie an dem Tag Dienst, als Vikki verschwand?«
»Als Chef von EagleEye bin ich immer im Dienst.«
»Gab es dort zuletzt irgendetwas Besonderes?«
»Fragen Sie doch Mommsen.«
Tjark blickte Ruven vielsagend an. Dann gab er ihm das Fernglas zurück.
»Ich verstehe«, entgegnete Ruven. »Ich selbst war an dem Abend nicht unterwegs, aber schaue gerne nach, ob ein Mitarbeiter draußen war und welcher.«
»Das wäre sehr hilfreich.«
»Soweit ich mich erinnere, haben wir am betreffenden Abend gar keine Kontrollen unternommen. Es herrschte Seenebel.«
»Bei Seenebel machen Sie Schlechtwetter?«
»Haben Sie schon mal nachts bei einer Sichtweite von wenigen Metern weitläufige Gewerbe- und Industrieareale begutachtet? Das macht wenig Sinn. Genauso wenig Sinn macht es, an solchen Tagen dort einbrechen zu wollen.«
»Dann würde ich genau einen solchen Tag abwarten, um dort einzubrechen.«
Ruven schien Tjark anzumerken, dass er ein solches Gebaren von einer Sicherheitsfirma als wenig gewissenhaft empfand. »Seenebel«, erklärte er, »kann extrem dicht sein. Da sehen die Bösewichte ebenfalls sehr wenig. Außerdem kann er so plötzlich verschwinden, wie er aufgetaucht ist, und schon ist die Tarnung dahin.«
»Weil dann doch Security auftaucht, sobald die Sicht besser ist?«
»Zum Beispiel.«
»Auch an diesem Abend?«
»Soweit ich mich erinnere, nicht, nein. An dem Tag war ein kleines Event bei Werlesieler angesetzt.«
»Sie erinnern sich recht genau.«
»Ich glaube, jeder in Werlesiel hat sich bereits gefragt, was er an dem Tag gemacht hat und ob ihm etwas aufgefallen ist. Außerdem habe ich einen guten Draht zur Polizeichefin.«
»Mhm«, machte Tjark und zuckte zur Seite, als eine Welle gegen den Bug schlug und ihm salziges Nordseewasser ins Gesicht sprühte. Er musste husten, weil er einige Tropfen eingeatmet hatte. Wie mochte es sich wohl anfühlen, wenn man dieses Wasser einsog und es in die Lungen sprudelte, während der Druck einem den Brustkorb zusammenpresste. »Woher wussten Sie von der Feier bei Mommsen?«, fragte er dann.
»Als Sicherheitsdienst erhalten wir von den Firmen, die wir betreuen, Mitteilungen über besondere Ereignisse – nächtliche Anlieferungen und
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