Dünengrab
Femke ihm hinterher.
Sie seufzte, löste den Führstrick und ging mit Justin zur Stallgasse, um ihn draußen anzubinden und mit dem Schlauch abzuspritzen. »Jetzt bist du offiziell ein Opa, mein Kleiner«, sagte sie. Justin antwortete, indem er mit dem Schweif ein Rudel Fliegen verscheuchte, die sich über seinen verschwitzen Körper hermachen wollten. Gerade als Femke den Schlauch aufdrehen wollte, vibrierte es in ihrer Hosentasche. Sie legte den Schlauch auf den Boden, nahm das Handy heraus und warf einen Blick auf das Display. Die Nummer sagte ihr nichts.
Als sie den Anruf annahm, meldete sich Fedder Gerkens. Gerkens war Bürgermeister in Werlesiel – ein volksnaher Typ, der jedem Gegenüber das Gefühl gab, dass man sich bereits seit Jahren gut kannte. Er hatte vorstehende Augen, eine Halbglatze und einen weißen Rauschebart, was ihn aussehen ließ, als sei er mit Kapitän Ahab persönlich auf Walfang gewesen. Dabei war Gerkens von Haus aus Amtsrichter und allenfalls mit der Inselfähre durch die Nordsee gekreuzt – er gehörte zu den wenigen Werlesielern, die kein eigenes Boot besaßen.
»Moin, Femke. Ich wollte eben fix mal rumkommen, aber ich höre, Sie sind gar nicht im Büro.«
»Nein«, sagte sie und strich sich etwas Stroh von der Hose, »das ist wohl richtig.«
»Immer noch die Schietbuckelei, was?« Fedder klang etwas besorgt. Dazu gab es ja auch allen Anlass. Werlesiel war in die Schlagzeilen geraten, und was hier geschehen war, war nicht nur schrecklich. Es könnte sich erheblich auf den Fremdenverkehr auswirken – und deswegen hatte Fedder auch in einige Fernsehkameras gesagt, als man ihn um Stellungnahmen gebeten hatte, dass Werlesiel immer noch der sicherste Ort im Norden sei. In Bezug auf die Unfallstatistik stimmte das sogar.
»Ja«, antwortete Femke. »Aber von nix kommt nix, Herr Gerkens.«
Der Bürgermeister lachte. Dann wurde er wieder ernst. »Ich bin ja ganz froh, dass sich der Rummel jetzt etwas legt und ich meinen Sitzungssaal wiederbekomme. So schlimm das alles ist, aber es ist nicht gut für den Ort, wenn hier alles voller Polizei und Presse ist. Doch ich rufe Sie wegen was anderem an. Was ist denn mit diesem Schriftsteller, diesem Tjark Wolf?«
Femke stutzte. »Was soll mit dem sein?«
»Eben ruft Knut Mommsen an, die Polizei sei in der Brauerei gewesen und hätte ihm Löcher in den Bauch gefragt.«
»Das sind nun mal laufende Ermittlungen.«
»Aber bei Mommsen doch nicht. Mensch, da muss man doch nicht auf das Brauereigelände fahren, so dass jeder das mitbekommt, das geht doch nicht.«
»Dazu kann ich nichts sagen.«
»Femke, ich rufe Sie an, weil ich Sie bitten möchte, dass Sie diesen Tjark Wolf zurückpfeifen. Er ist ja nun eine Berühmtheit, und das ist auch alles wichtig, aber Mommsen ist ein angesehener Bürger und immens wichtig für uns.«
Femke stieß ein ungläubiges Lachen hervor und kickte einen Stein zur Seite. Rief gerade wirklich der Bürgermeister an und versuchte, sie zu beeinflussen? »Herr Gerkens«, sagte sie, »ich bin nun wirklich nicht in der Position, der Kripo vorzuschreiben, was sie zu tun und zu lassen hat – und erst recht nicht, wenn es um laufende Ermittlungen in einem Fall wie diesem geht.«
»Ich will da ja auch gar nicht reinreden, um Himmels willen«, wiegelte der Bürgermeister ab. »Aber ihr seht euch ja jeden Tag, und wenn man einfach mal darauf hinweisen würde, dass man mit Mommsen etwas aufpassen muss, dann wäre schon etwas gewonnen. Der pumpt jedes Jahr Millionen an Gewerbesteuer in die Kassen, Femke, und der ist halt etwas aufbrausend.«
»Hm.« Sie wandte sich um. Ein Auto näherte sich. Es schlich fast über den holprigen Weg, der zum Reiterhof führte, was sicher an der harten Federung lag. War das ein Sportwagen?
»Die ganze Sache«, fuhr Gerkens fort, »hat schon genug Schaden angerichtet. Wir befinden uns im Moment in einer sehr sensiblen Situation für die Zukunft der Stadt, und ich kann einen verärgerten Knut Mommsen nicht gebrauchen.«
Ja, das war ein Sportwagen. Ein Cabrio.
Gerkens redete weiter. »Wir sind doch beide um das Wohl von Werlesiel und den Schutz der Bürger besorgt – Sie auf Ihre Art und ich auf meine, und ich kann versichern …«
Sie atmete tief ein und aus und zählte bis drei. Dann unterbrach sie Gerkens: »Ich bin daran interessiert, dass Vikki Rickmers gefunden wird und die Morde aufgeklärt werden. Die Befindlichkeiten eines Herrn Mommsen sind mir, ehrlich gesagt, völlig
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