Duenenmord
Moment dem dringenden Verdacht nach, dass Ihre Frau ihre Stellung als Erzieherin missbrauchte, sehr wahrscheinlich über viele Jahre, und der Mord vor diesem Hintergrund geschah«, sagte Romy langsam.
Sängers Hände umklammerten die Tischkante. »Sie sprechen von Missbrauch«, flüsterte er.
»Die Schlussfolgerung, dass ein Opfer Ihre Frau nach vielen Jahren mit ihren Taten konfrontierte, ist naheliegend.«
»Das ist völlig unfassbar!«, entgegnete Sänger. Er rieb sich mit beiden Händen über Augen und Wangen und atmete schwer. »Darf ich die Mail lesen?«, fragte er dann.
»Ich bitte sogar darum. Vielleicht fällt Ihnen etwas dazu sein, was unsere Ermittlungen voranbringt.« Sie reichte ihm das Textblatt. Seine Hand zitterte. Er las schnell, mit geweiteten Augen, und er ließ sich Zeit, bis er wieder hochblickte. »Die böse Gier«, sagte er leise. »Was um Gottes willen …? Soll das wirklich heißen, dass Monika sich an Mädchen vergriff? Das ist einfach nur …«
Romy nickte.
»Aber … Und was soll das bedeuten – Spiegelland, Wassernixe, Strand der bösen Erinnerungen? Wie …«
»Herr Sänger, wir befinden uns ganz am Anfang, und ich weiß, was ich Ihnen zumute, aber ich bitte Sie dennoch, uns weiterzuhelfen«, fuhr Romy eindringlich fort.
»Ich kann Ihnen nicht weiterhelfen«, entgegnete Sänger brüsk. »Ich kann all das kaum begreifen. Wie soll ich …«
»Vielleicht fällt Ihnen vor dem Hintergrund dieser Mail etwas ein – eine Auseinandersetzung, unter Umständen am Telefon, seltsame, anonyme Anrufe oder Ähnliches.« Romy fixierte den Witwer. »Die Mailschreiberin hat Ihrer Frau auch Handynachrichten geschickt. Mit einer SM S beorderte sie Monika an den Tatort. Soweit wir im Moment wissen, stammen die ersten Kontakte aus dem letzten Oktober. Vielleichtgab es sogar schon ein Treffen, dem nun ein zweites folgte. Auf jeden Fall war Ihre Frau daran interessiert, sich mit der Schreiberin zu treffen, denn sie hat sogar selbst per SMS diesen Vorschlag gemacht.«
»Im letzten Oktober?«, murmelte Sänger verblüfft.
»Seinerzeit schaffte sie sich das Netbook an«, führte Romy aus. »Wir vermuten, dass sie ab dem Zeitpunkt Ihre Mails von dort abrief …«
Sänger nickte sofort. »Ja, ich erinnere mich. Sie hat das umgestellt. Ich habe mir nichts dabei gedacht, warum auch nicht … Und ich dachte, es sei wegen dieser Prora-Geschichten.«
»Das eine schließt das andere nicht aus«, bemerkte Romy und behielt den Mann genau im Auge. Er hielt sich deutlich besser, als sie befürchtet hatte. »Möchten Sie vielleicht etwas trinken, Herr Sänger?«
Er nickte sofort. Sie stand auf und goss ihm ein Glas Wasser ein. Im gleichen Moment klopfte es, und Max lugte zur Tür herein. Er reichte Romy ein Blatt Papier. »Das Neueste vom IT-Mann, eine weitere Mail«, erläuterte er leise.
»Das ging ja erfreulich schnell.« Sie warf einen raschen Blick auf das Blatt und sah wieder hoch. »Muss ich mehr dazu wissen?«
»Die Mail ist Anfang Januar in ihrem Kita-Postfach gelandet und gelöscht worden«, führte Max aus. »Zugleich wurde sie an ihre private Adresse gesendet.«
»Und wurde übers Netbook abgerufen«, ergänzte Romy. Sie drehte sich zu Michael Sänger um. »Kennen Sie die Zugangsdaten zu Monikas Mail-Account?«
»Nicht aus dem Kopf, aber ich könnte zu Hause nachsehen, ob sie sich etwas notiert hat«, bot er an. »Sie war bei GMX, das weiß ich.«
Jede Wette, dass sie das Passwort geändert und die Mails nach dem Lesen auch dort gelöscht hat, dachte Romy, undMax schien einen ähnlichen Gedanken zu haben, denn er setzte eine äußerst skeptische Miene auf.
»Danke dir erst mal, Max. Fine soll sich gleich mal um die Genehmigung für den Kontozugriff kümmern.«
»Mach ich.« Er zog die Tür heran, und Romy setzte sich wieder. Sie las die Mail zweimal und reichte das Blatt anschließend an Sänger weiter.
Wenn Sie glauben, dass es vorbei ist, haben Sie sich getäuscht. Hoffen Sie nicht darauf. Es wird nie vorbei sein. Wer wüsste das besser als ich? Ein schlummernder Alptraum, der immer wieder seine kalten Finger nach mir ausstreckt, mein Leben verdüstert, mit Angst und Bitterkeit verkleidet, ohne dass ich bisher begriff, was geschehen war. Nun ist er endgültig aus seinem Winterschlaf erwacht. Projekt kleine Mädchen. Mein Alptraum und der anderer. Er ist es immer noch. Spiegelland, Spiegelland, was spiegelt sich in deiner Hand? Die böse Gier in Ihren Augen. Sie weicht niemals. Ihre Pläne,
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