Duenne Haut - Kriminalroman
ungebremst auf sie, und sein offener Arztmantel bedeckt beide wie ein Betttuch. Wie das weiße Laken, unter dem sich in puritanischen Hollywoodfilmen die Liebespaare tummeln. Er sendet ein Stoßgebet gen Himmel, dass Isolde draußen nichts gehört haben möge.
„Bist du auf einen Kuss aus, Willie, oder ist es etwas anderes?“
Wieso nennt sie ihn Willie, mit einer sehr englischen Aussprache? Sie wird doch sicher wissen, dass sein Vorname Dieter ist. Diese Frau ist tatsächlich eine Herausforderung. Immerhin hat er es endlich geschafft, sich aus ihrer Umklammerung zu lösen.
„Was jetzt, was jetzt, Willie? Nach diesem unerwarteten Vergnügen? Mit der Zeit, mit der Zeit gehen einem die Klassiker verloren. Nicht alle, und das finde ich so wunderbar: dass ein Teil immer übrigbleibt, um einem zu helfen, über den Tag zu kommen. Das nenne ich Gnade.“
Sie lacht. Lacht ihn aus, in einer eigentümlichen Tonlage, halb lasziv und halb hysterisch. Immer noch liegt sie auf dem Boden.
„Würden Sie jetzt bitte aufstehen, Frau Herbst!“
Sie reagiert nicht. Legt nur die Hände unter ihren Kopf, als wolle sie es sich gemütlich machen auf dem dicken Perser.
„Ich ersuche Sie nochmals: Stehen Sie auf! Sofort! Mit Ihrem Verhalten haben Sie die Grenze des Zumutbaren überschritten. Bei Weitem überschritten. In der Teamsitzung habe ich Sie noch geschützt, doch jetzt sehe ich mich leider gezwungen, Konsequenzen zu ziehen.“
Langsam, provokant langsam hebt sich ihr Oberkörper, auf die Ellenbogen gestützt, während sich ihr Schoß weiterhin auf dem Teppich befindet. Der kurze, hochgeschobene Rock gibt den Blick frei auf ihr Höschen. Eine läufige Hündin, schießt ihm durch den Kopf. Nicht sehr fachmännisch, dieser Ausdruck, er weiß es. Aber manchmal dominiert selbst in ihm der Mann den Fachmann.
„Es ist nicht das erste Mal“, sagt sie leise, aber umso eindringlicher. „Ganz sicher nicht.“
„Was meinen Sie damit?“
„Ich weiß, dass ich nicht die erste bin, mit der Sie sich hier auf dem Teppich wälzten, Herr Doktor.“
„Wie bitte? Was fantasieren Sie da!“
Er starrt die Frau an, sie starrt zurück, ein Tauziehen wie bei den schottischen Hochlandspielen. Und sie ist nicht im Geringsten gewillt nachzugeben. Natürlich hat sie keinerlei Beweise – woher auch! Aber eines wird ihm plötzlich klar: Er wird sich mit dieser Frau noch eine Weile beschäftigen müssen, ob er will oder nicht. Dumme Gerüchte in die Welt zu setzen, dazu wäre sie allemal in der Lage. Etwas unglaublich Hartes steckt in diesem weichen Körper, etwas gefährlich Hartnäckiges. Eine Widerstandskämpferin, wie alle Borderliner abgehärtet von frühester Kindheit an, und spezialisiert auf das altbewährte
divide et impera
. Teile und herrsche. Besser, sie noch eine Weile unter direkter Beobachtung zu halten. Zum Glück hat er den Verweis von der Klinik noch nicht laut ausgesprochen.
„Frau Herbst. Ich habe mich heute mit den Kollegen ausführlich über Sie unterhalten. Gerade auch über Ihre Art zu dissoziieren und wie Sie es fertigbringen, Beziehungen zu beenden, noch ehe sie richtig begonnen haben. So wie zwischen uns eben erst. Möchten Sie daran nicht etwas ändern? Sie sind zweifellos eine ganz außergewöhnliche Persönlichkeit, emotional und intellektuell. Und sie hatten gute Gründe, zu uns zu kommen, nicht wahr? Sie wollen doch die Obsorge für Ihre Kinder wieder zurückzuerhalten. Das sehe ich doch richtig so, oder? Also, ich mache Ihnen ein Angebot. Wie wäre es, wenn wir beide noch einmal ganz von vorne anfangen? Wenn Sie damit einverstanden sind, vergessen wir einfach, was vorhin passiert ist, und öffnen die Tür nochmals neu. Was halten Sie davon?“
Noch immer ist das Misstrauen nicht ganz aus ihrem Gesicht gewichen, aber er spürt, dass er die richtige Mischung aus Konfrontation und Nachgiebigkeit gefunden hat. Kein Zweifel: Ein erster, dünner Riss zeichnet sich ab in ihrer harten Schale, den er schnell verbreitern wird. Fachkompetenz im Verbund mit Charme wirkt bei dieser Art von Patientin wie ein unwiderstehlicher Keil, dessen ist er sich sicher. Abrupt bricht der Blickkontakt zwischen ihnen ab. Sie läuft zur Tür, drückt die Klinke, überschreitet die Schwelle, schließt die Tür hinter sich. Dann ein behutsames Klopfen.
„Herein“, ruft er gut gelaunt. Er hat seine alte Sicherheit wieder. Zu hundert Prozent.
Sie tritt ein und schüttelt seine ausgestreckte Hand.
„Danke, dass Sie sich so schnell für
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