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Duenne Haut - Kriminalroman

Duenne Haut - Kriminalroman

Titel: Duenne Haut - Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kabelka
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erinnernden Männertorsos und hinüber zur schwarzen Fensterscheibe, aus der ihr – gedoppelt – der Schattenriss eines Kopfes entgegenschlägt:
ihr
Kopf,
ihre
Konturen. Ein querfeldein springender Vollgummiball, den keiner auffängt.
    „Du meinst, Marie Therese Herbst hat dir das geschickt?“
    „Könnte doch sein. Nicht viele meiner Klienten wären zu solchen Formulierungen fähig. Aber eine Übersetzerin … Andererseits verwendet sie Ausdrücke, die eher nach Therapeutenjargon klingen. Und komisch ist auch, dass sie meinen zweiten Vornamen kennt. Den habe ich ihr gegenüber sicher nie genannt.“
    Sigrids Lippen verziehen sich, als hätte sie Mühe, diese Informationen zu ordnen.
    „Wer immer das geschrieben hat“, setzt er fort, „hat mir damit einen verdammt schweren Sack aufgeladen. Es gibt einfach zu viele Variablen, Sigrid – wie soll man sich da entscheiden? Solche Übergriffe kommen in unserem Metier ebenso oft vor wie die Verleumdung von Ärzten durch ihre Patienten, dessen sind wir uns alle bewusst. Aber wie im konkreten Fall damit umgehen? Der Wahrheitsgehalt dieser Mitteilung ist nicht zu belegen, schon wegen ihrer Anonymität. Andererseits sehe ich keinen Sinn darin, dass die Briefschreiberin das alles bloß erfunden haben sollte. Weshalb? Nichts sonst erwartet sie von mir, als dass ich
dem Schwein das Handwerk lege
, um
wenigstens künftige Demütigungen von Frauen zu verhindern
. Ich denke, Eigennutz oder persönliche Rache sieht anders aus.“
    Sie schweigt weiter. Versteckt sich hinter der Teetasse. Er deutet ihr Schweigen anders. Nutzt es als Katalysator, um seine Optionen aufzuzählen.
    „Natürlich könnte ich die Karte einfach zerreißen und die Toilette hinunterspülen. Oder ich könnte sie in einem Tresor verstauen und warten, bis es eindeutigere Hinweise gibt. Oder bis es mir selbst etwas bringt, wenn ich sie wieder hervorhole. Aber dann spüre ich wieder, welches Leid hinter dieser Botschaft steckt, und“ – sein Stöhnen klingt echt – „und ich komme mir mies vor, weil ich nichts unternehme.“ Er schüttelt verzweifelt den Kopf. „Was meinst du dazu, Sigrid? Sag mir, was du davon hältst – bitte!“
    „Ich …“, beginnt sie und verstummt gleich wieder.
    „Ja?“
    Sie blickt in seine fragenden Augen, und die Tasse in ihrer Hand beginnt zu zittern. Sie weiß, was sie jetzt zu tun hat, und wenn es noch so peinlich sein mag: Wer, wenn nicht er, verdient es, dass ungeschminkte Offenheit honoriert wird? Mit einem späten Geständnis, nichts weniger. Alles andere wäre Verrat.
    „Es tut mir leid, Guido, wirklich. Ich weiß, ich bin ein elender Feigling. Seit zwei Jahren schleppe ich das schon mit mir herum, habe mich nicht getraut, mit irgendjemandem darüber zu sprechen. Die ehemalige Patientin, die es nur im Schutz der Anonymität wagt, sich an dich zu wenden, bin – ich.“
    Sie blickt zu Boden. Spürt, wie ihr die Hitze ins Gesicht fährt, die hässlich rote Flecken erzeugt wie bei einer Allergikerin.
    „Du?“
, hört sie ihn leise sagen, „Sachs hat sich an
dir
vergriffen?“
    Sie nickt. Noch immer wagt sie nicht, den Blick zu heben. Das kleine Mädchen, das die Oma ermahnt, alles schön zugedeckt zu lassen – sie hat sich vor einem Mann, einem Schwulen, entblättert! Unter ihr breitet sich wieder der Perserteppich aus, auf dem sie bäuchlings lag, die
kleine geile Sau, die heiße Fotze
, in die Sachs eindrang, während ihre Nase sich in den Teppich presste und den zerstäubten Schmutz von vielen Schuhpaaren inhalierte, schwarze Patientenschuhe, weiße Arztpantoffeln, im Dreck lösen sich alle Titel auf, denn aus Staub bist du und zu Staub wirst du werden …
    Sie spürt den Atem in ihrem Nacken, sie spürt die Hand auf ihrem Haar. Sie möchte schluchzen, doch ihr Hals ist zu trocken, sie möchte sich auflösen in der Wärme seiner Hand, doch der Körper sperrt sich, steif und starr wie ein Holzblock sperrt er sich gegen die Liebkosung, die sie so ersehnt hat von diesem Mann. Guido, denkt sie, mehr fasst ihr Gehirn nicht als seinen Namen. Guido, Guido!
    „Wie hast du das nur ausgehalten? Mit ihm auf der gleichen Station, im selben Team! Arme Sigrid.“
    Sie fühlt, wie seine Finger ihr Kinn berühren, es zart anheben.
    „Es tut mir so leid, Sigrid!“
    Ihr Blick klammert sich fest an seinem, und plötzlich, als wüsste er, was sie jetzt am dringendsten braucht, findet sie wieder diesen Funken in den braunen Augen: sein heilendes Lächeln.
    „Wie hast du das

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