Duenne Haut - Kriminalroman
vielleicht schon damals mehr dran war an den Gerüchten, als wir wahrhaben wollten! Und dass Selzer, weil er selbst unter Beschuss stand, wohlweislich den Mund gehalten hat.“
„Das spricht nicht eben für einen starken Verbündeten!“
„Wer weiß, Sigrid, wer weiß … Wenn du nichts dagegen hast, würde ich ihn jedenfalls gerne einweihen. Selzer hatte, wie sich bald herausgestellt hat, eine blütenreine Weste. Heute ist er seinem Chef zu nichts verpflichtet. Uns jedenfalls könnte eine Unterstützung im mittleren Management nicht schaden.“
Sigrid muss nicht lange überlegen. „Ich bin dir unendlich dankbar, Guido. Mehr als du dir vorstellen kannst. Wenn du das für den richtigen Weg hältst, dann gehen wir ihn.“
Er drückt ihr einen Kuss auf die Wange. Sie errötet wieder, diesmal ohne hektische Flecken.
Sein Grinsen ist umwerfend.
„Ich bin noch keine fünfunddreißig, Sigrid. Wer weiß, vielleicht entdecke ich ja noch unerforschtes Territorium in mir.“
22 Q UID PRO QUO
Sie heißt eigentlich Joanna, will aber Asia gerufen werden. Er hat damit keine Probleme – seine Probleme sitzen ganz woanders. Hagen dreht zum x-ten Male den Kopf von links nach rechts und wieder zurück – zwecklos! In keiner Stellung gelingt es ihm, seinen Nacken zu entspannen. Dabei ist die Masseurin, eine blonde Polin aus Krakau, doch so um ihn bemüht. Asia walkt Hagens Rücken nun schon seit zwanzig Minuten durch, und wenn er besonders laut stöhnt, wenn sie versucht, mit ihren Fingern einen der unzähligen Knoten im Schulterbereich aufzulösen, versucht sie ihn mit einem
Na na
oder
Schsch!
zu beruhigen. Obwohl sie um einiges jünger sein dürfte als er, behandelt sie ihn wie eine Mutter. Ein slawischer Mamatyp mit neapolitanischem Einschlag: Hohe Backenknochen, mollig, ein bisschen zu laut und furchtbar stark. Er hat sie gefragt, wie sie diese Kraftanstrengung aushalte. „Alles eine Frage der Technik“, lautete ihre vergnügte Antwort, „polnische Frau eben schick!“
Sie meinte vermutlich
geschickt
. In seinem nächsten Leben würde er sich eine polnische Masseurin angeln, und alles würde anders werden … besser … relaxter …
Bäuchlings auf dem Massagetisch lässt sich auch im Hirn eine Menge zurechtrücken.
Während Asia sich seine verfilzten Muskelfasern auf Höhe der unteren Kreuzwirbel vornimmt, geht Hagen in Gedanken noch einmal den gestrigen Besuch bei Laub durch. Praders Angst vor dieser Begegnung hing über der kleinen Gruppe wie ein nasser Fetzen. Dementsprechend war die Aufwärmrunde geprägt von peinlichen Pausen und Phrasen:
Wie geht’s dem Hals? – Danke der Nachfrage, ich werde wohl längere Zeit keine Krawatte mehr brauchen
. Aber die dunkelblauen Würgemale an Laubs Hals, auf die Prader fortwährend starrte, wirkten Wunder. Wie eine weiße Flagge, die beide kriegsführende Parteien gleichzeitig hissen. Als sich Prader zu einer Entschuldigung durchrang, gelobte auch der Oberstudienrat Besserung. Und deutete sogar gewisse weltanschauliche Zugeständnisse an.
„Sollen die doch ihre verdammten Minarette bauen. Das kratzt mich nicht mehr, seit ich einen Blick auf die andere Seite gemacht habe.“
Dr. Mickl hätte ihre wahre Freude daran gehabt, hätte sie mitbekommen, wie ein Teil der Gesprächstherapiegruppe ganz ohne ihr Beisein weiterwerkte. Noch dazu eindeutig erfolgreicher als das letzte Mal. Und Hagen? Er war der große Bedankte. Als sie sich verabschiedeten, ergriff Laub seine Hand und drückte sie wortlos, mit flatternden Lidern. Eine ganz andere Reaktion als die, die Hagen unmittelbar nach der Reanimation geerntet hatte. Draußen dankte ihm dann auch noch Prader dafür, ihn zu diesem Canossagang überredet zu haben.
„Ich weiß jetzt, woran ich zu arbeiten habe“, sagte der Kabarettist und nickte, als wolle er sich damit Mut machen. Mehr verriet er nicht über seinen plötzlichen Erkenntniszuwachs. Aber sein bärtiger Kopf saß wieder entspannter auf der Wirbelsäule.
Hagen freute sich ehrlich für ihn.
Loslassen lernen
lautet das allgegenwärtige Gebot in der Therapie – und tatsächlich haben sich sowohl Prader als auch Laub, ansatzweise wenigstens, gelöst von scheinbar unveränderlichen Standpunkten. Was so ein Suizidversuch doch alles bewirken kann, wundert sich Hagen. An Laubs Krankenbett wurde die
Integrität des anderen
, wie Mickl sagen würde, erstmals respektiert.
Er würde es ganz altmodisch eine Frage der Ehre nennen.
In manchen Kulturen steht auf
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