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Duenne Haut - Kriminalroman

Duenne Haut - Kriminalroman

Titel: Duenne Haut - Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kabelka
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Ehrabschneidung die Todesstrafe. Wobei die einfache Todesstrafe noch harmlos ist gegenüber der erweiterten, der generationsüberschreitenden. Das nennt sich dann Blutrache. Das Problem dabei: Was genau verstehen jene unter Ehre, denen sie angeblich geraubt wurde? Immerhin hängt viel von der Definition ab, enorm viel: Wie dauerhaft und intensiv nämlich die Rache sein muss, um die Ehre wiederherzustellen. Diesbezüglich kommt es selbst in unseren Breiten bisweilen zu einigen absonderlichen Auswüchsen.
    Schau nur hinüber ins benachbarte Fürstentum. Dort gibt es Familien, die den Nachbarn heute noch spinnefeind sind, weil deren Vorfahren anno Schnee ein Mitglied der eigenen Sippe als Hexe denunziert haben. Der Name des Opfers ist längst vergessen, nicht aber die damit verbundene Schuld. Ein zartes Geschöpf, das sich zeit seines jungfräulichen Lebens mit den geschliffenen Rubinen des Rosenkranzes die Finger wund gerieben hatte, war aufgrund eines bösen Wortes als Geliebte des Teufels in Vaduz auf dem Scheiterhaufen gelandet. Und deswegen grüßt jetzt, dreihundertfünfzig Jahre später, ein Frommelt keinen Marxer, wenn er ihm auf der Straße begegnet, und in der Kirche hocken sie mindestens zehn Reihen weit auseinander. Nach dreieinhalb Jahrhunderten! Ein bisschen Alzheimer wäre da gar nicht so dumm. Vielleicht gibt es ja eine Wechselbeziehung zwischen der hochgeschraubten Auffassung von Familienehre und der unterentwickelten Moral, wenn es ums Geld geht, sinniert Hagen. Das sollten sich die Wirtschaftsforscher einmal genauer anschauen …
    Asia beendet Hagens Betrachtungen, indem sie dem Chefinspektor a. D. respektlos auf den nackten Po klatscht und damit signalisiert, dass sie sich lange genug mit seinen Muskelverhärtungen auseinandergesetzt hat. Er zieht sich schamhaft das Handtuch über die Hüfte, bevor er vom Massagetisch rutscht.
Dziękuję
, stößt er hervor, neben
na zdrowie
das Einzige, was er im Vorjahr von einem Dienstauftrag aus Polen mit nach Hause gebracht hat. Abgesehen von den bestialischen Kopfschmerzen natürlich, für die der lausige Wodka der Warschauer Kollegen verantwortlich zeichnete. Oder lag es gar nicht an der Qualität, sondern an der Menge, die er damals in sich hineinleerte?
    Er schlüpft in seine Wäsche und beschließt, Marie Therese aufzusuchen. Der Rezeptionist verrät ihm die Zimmernummer der Berlinerin, aber als er an ihre Tür klopft, regt sich nichts. Schön, denkt er, warte ich eben bis zum Mittagessen. Aus einem der Arbeitsräume strömt gerade eine Gruppe heraus. An einem Tisch erkennt er den langen, schlanken Rücken von Marie Therese.
    „Kommen Sie?“, ruft ihr die Therapeutin zu, „ich würde gerne abschließen!“
    Als Marie Therese sich erhebt, sieht sie ihn. Ihre Augen funkeln. „Sekunde!“, ruft sie der Therapeutin zu und winkt Hagen heftig zu sich. „Ich muss dir etwas zeigen!“ Überall stehen Skulpturen aus Lehm oder Pappmaché herum, die meisten nicht größer als dreißig Zentimeter. Jene, auf die sie deutet, überragt alle anderen um das Doppelte.
    „Wie findest du sie?“
    „Sie?“
    „Ja, ich hab sie Golema getauft.“ Sie sagt es mit einer Inbrunst, als spräche sie über ein Neugeborenes, das der Mutter nach einer schweren Geburt auf den Bauch gelegt wird.
    Er kann nicht viel mit der Figur anfangen. Was allerdings auch für die berühmteren Kunstwerke eines Moore oder Picasso gilt; so gesehen befindet sich ihre Golema in guter Gesellschaft. Aber weil er merkt, wie viel sie in diesen fetten Koloss investiert hat, behilft er sich mit dem Wort, das er bei den wenigen Vernissagen, die er in seinem Leben besucht hat, am häufigsten zu hören bekam:
    „Spannend. Wirklich, sehr spannend!“
    Der Zweifel über seinen Kommentar steht ihr auf die Stirn geschrieben. Ein schwarzer Kajalrahmen fasst ihre Augen. Das erste Mal, dass er sie geschminkt sieht.
    „Bitte!“, ruft die Therapeutin von der Tür her. „Ich sollte jetzt aber wirklich …“
    „Reden wir draußen weiter“, schlägt Hagen vor. Er hofft damit zwei Fliegen auf einen Schlag zu erlegen. „Komm, ich lade dich auf einen Tee ein.“
    Sie lehnt das Angebot ab, will die freie Stunde bis zum Mittagessen lieber im Fitnessraum verbringen. „Um diese Zeit ist dort nie etwas los. Warum schwitzen wir nicht gemeinsam? Und du erzählst mir dabei wieder etwas Aufregendes aus dem Feldkircher Wildpark.“
    Zehn Minuten später treffen sie sich, beide im Trainingsanzug, im
Maschinenraum
wieder, wie

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