Duerers Haende
Anschließend applaudierte sie sich zu dieser Meisterleistung: Bravo, Frau Steiner, damit ist das Thema Auto auch abgehakt. Nun war sie auf die öffentlichen Verkehrsmittel angewiesen, wollte sie im Krankenhaus nach dem Rechten, das heißt nach Heinrichs Rückkehrabsichten schauen. Und das wollte sie nach wie vor unbedingt.
Eine gute Stunde später stand sie vor dem Theresien-Krankenhaus. Hungrig und hoffungsvoll, der Wein hatte in der Zwischenzeit all ihre Bedenken ausgelöscht. Auf dem Weg zu Heinrichs Zimmer kam ihr Dr. Leipold mit ernster Miene entgegen.
»Leider habe ich nichts ausrichten können. Herr Bartels sträubt sich nach wie vor standhaft dagegen, unser Haus zu verlassen, weil er sich noch immer zu krank fühle. Ich hatte ihm vorgeschlagen, ihn an seinen Hausarzt zur weiteren ambulanten Behandlung zu überweisen. Auch das will er nicht.« Die Ärztin zog bedauernd die Schultern hoch. »Reden Sie doch noch mal mit ihm. Vielleicht hilft es was. Wobei ich da skeptisch bin.«
Am liebsten hätte sie auf dem Absatz kehrtgemacht. Dann allerdings wäre die Fahrt mit der Straßenbahn ganz und gar vergebens gewesen, nicht zu sprechen von der leidigen Warterei an der Bus- und Bahnstation. Nein, wenn sie schon mal hier war, sollte es sich auch lohnen. Es musste doch einen Grund dafür geben, dass Heinrich ihr die Mitarbeit aufgesagt hatte. Und diesen Grund wollte sie wissen. Sie klopfte an der Tür. Ein doppeltes »Herein!« erklang.
»Guten Abend, die Herren«, sagte sie etwas zu förmlich zu dem ungleichen, satt und zufrieden wirkenden Patientenpaar. Die Essenstabletts standen leer und abholbereit auf den Beistelltischen. »Und wie geht’s dir heute, Heinrich?« Sie gab sich Mühe, offen und freundlich zu wirken.
»Nicht besonders.«
»Hat man denn jetzt was Konkretes bei dir gefunden?«
»Nein.«
»Dann hat die Kernspin-Untersuchung also nichts Neues gebracht?«
Er winkte sie zu sich heran. »Die haben mich gar nicht nach Erlangen gelassen«, sagte er leise. »Die sind der Meinung, mir fehlt nichts. Also nichts Organisches.«
»Das ist doch eine gute Nachricht. Das freut mich wirklich.«
»Aber Paula, das hat doch nichts zu bedeuten, du hast es hier nur mit Schulmedizinern zu tun. Die haben einen unheimlich begrenzten Horizont. Was über die rein körperlichen Symptome hinausgeht, existiert für die nicht.«
Ah, eine neue Strategie. »Was meinst du denn, was du hast?«
»Meiner Meinung nach spricht eigentlich alles für ein Burnout-Syndrom. Und zwar eines von der schlimmen Sorte.«
Fast hätte sie laut hinausgelacht. Heinrich und ausgebrannt? Heinrich, der in manchen Jahren mehr Fehltage zusammenbrachte, als anderen Kollegen an Urlaubstagen zustand? Der abends immer vor ihr das Büro verließ? Dessen Standardsatz, wenn er gerade mal keine Lust auf einen Außentermin hatte, lautete: »Ach, die Arbeit läuft uns schon nicht davon. Morgen ist auch noch ein Tag.« Sie erkannte, dass sie mit ihrer Mission gescheitert war, ihn wieder dahinzubringen, wo er ihrer Ansicht nach hingehörte: in ihr gemeinsames Büro, an ihre Seite. Er hatte sich in dieser knappen Woche zu weit von ihr entfernt. Oder lag das schon länger zurück, und sie hatte es nur nicht bemerkt? Am liebsten wäre sie wortlos aufgestanden und gegangen. Doch dann erinnerte sie sich an die Szene in dem Gostenhofer Hinterhof, an ihr Versagen und an ihre Schuld. Sie erzählte von dem Fall Shengali. Heinrich hörte ihr gelangweilt zu.
»… Frau Brunner ist mir dabei, obwohl jung und noch in der Ausbildung, eine große Hilfe. Die hat so viel Elan, Begeisterung. Das ist richtig ansteckend.«
»Das rotblonde Pummelchen aus dem Dezernat 2? Die ist doch höchstens dreiundzwanzig, vierundzwanzig. Womit soll die dir schon eine große Hilfe sein?«
Sie horchte auf. Gehässigkeit zählte sonst nicht zu Heinrichs Charaktereigenschaften. Vielleicht war da etwas zu holen?
»Doch, das ist sie. Von allen Praktikanten, die bei uns waren, ist sie die mit Abstand Interessierteste. Der muss man nicht alles haarklein vorbeten, die sucht sich ihre Arbeit sogar selbst. Ich bin auf jeden Fall froh – gerade in der jetzigen Situation –, dass ich sie habe.«
Nach einer kurzen Pause legte sie noch ein Scheit Holz ins Feuer, eines von der Sorte, die besonders gut brennt. »Da hat mir der Fleischmann wirklich einen würdigen Ersatz für dich genehmigt.«
Eine Zeit lang war es still in dem kleinen Krankenzimmer.
»Ersatz?«, fragte Heinrich ungläubig.
»Na,
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