Duerers Haende
Die müssen zusehen, dass sie pünktlich zum Kunden kommen.«
»Und wenn jemand auf die Toilette muss?«
»Hören Sie, wir haben hier nur Berufskraftfahrer«, blaffte er sie an. »Profis. Keine Jüngelchen mit Konfirmandenblase, die sich nicht im Griff haben. Das läuft so nicht, zumindest nicht in meinem Unternehmen. Wissen Sie überhaupt, wie viele Kilometer das bis Tirana sind und was das für eine stauanfällige Strecke ist? Teilweise nur einspurig. Da ist keine Zeit für …«
»Okay«, schnitt sie ihm das Wort ab, »das wäre geklärt. Eine andere Frage: Wie würden Sie sich denn das Verschwinden des Lasters erklären plus den Mord an Ihrem Fahrer?«
»Na, das ist doch sonnenklar. Das war Diebstahl. Da war jemand scharf auf die Ladung und/oder auf das Fahrzeug. Was denn sonst?« Sein Ton hatte eine Schärfe und Lautstärke erreicht, die ihr zunehmend missfielen.
»Wenn es Raubmord war, so wie Sie vermuten, dann hat Shengali auf der Strecke Nürnberg-München aber doch eine Pause gemacht oder zumindest kurz angehalten. Sein Mörder hat ihm nämlich gegen acht Uhr einen Schlag verpasst, an dem er letztendlich auch gestorben ist. Und dass Waren aus einem fahrenden Lkw gestohlen werden, ist eher unwahrscheinlich«, schoss sie zurück. »Oder würden Sie mir da nicht zustimmen, Herr Frey?«
»Dann hat er halt gestoppt. Na und? Was weiß ich. Überhaupt ist das doch Ihre Aufgabe, herauszufinden, wer Shengali umgebracht hat und wo mein Lastzug abgeblieben ist. Ich habe jetzt auch keine Zeit mehr, mit Ihnen so sinnfrei herumzuquatschen. Ich muss nämlich Geld verdienen, ich sitze in keiner Behörde, wo das automatisch zum Fenster reinfließt.«
»Ja, da haben Sie recht, es ist meine Aufgabe, Shengalis Mörder zu finden. Dagegen ist es nicht meine vorrangige Aufgabe, Ihren Lkw zu suchen. Das nur zur Klarstellung. Des Weiteren irren Sie, wenn Sie glauben, dass ich mit Ihnen herumquatsche. Ich führe im Augenblick eine telefonische Vernehmung mit Ihnen. Sollten Sie dazu außerstande oder nicht gewillt sein, dann sagen Sie es mir lieber gleich. Dann lade ich Sie nämlich ins Präsidium vor, zu einem Zeitpunkt, der«, sie machte eine kleine Pause, um dem Personalpronomen, das nun folgen sollte, die entsprechende Aufmerksamkeit ihres Gesprächspartners zu sichern, »mir angemessen erscheint. Und der kann in einer Viertelstunde sein.«
Frey junior lenkte sofort ein. »Ja, entschuldigen Sie. Ich bin derzeit ein wenig neben der Spur. Es war nicht so gemeint. Erst der Lastzug weg, dann einer meiner Fahrer tot, da liegen die Nerven eben blank.«
»Gut, dann können wir ja weiterreden. Also, bleiben wir bei Ihrer Theorie. Shengali hat angehalten aus Gründen, die wir noch nicht kennen. Der oder die Täter haben ihn überwältigt. Wie aber erhalten sie Zugriff auf die Ladung und das Fahrzeug? Lastwagenfahrer sind doch angehalten, bei jeder Rast, und sei sie noch so kurz, die elektronische Diebstahlsicherung einzuschalten.«
»Vielleicht hat er es vergessen. Kann doch mal passieren. Passiert mir auch, nicht oft, aber hin und wieder. Oder er hat kurz angehalten, um hinterm Steuer ein wenig zu dösen oder mit dem Handy seine Frau anzurufen. Und da hat man ihn dann mit Narkosegas außer Gefecht gesetzt. Das kommt oft vor. Gas ist die häufigste Methode, sich Zugang zum Fahrerhaus zu verschaffen beziehungsweise den Fahrer schachmatt zu setzen.«
Siegfried Freys bester Fahrer, der die Regel Nummer eins beim Rastvorgang vergisst? Die Zuverlässigkeit in Person, der nach eineinhalb Stunden Fahrt mal eben so ein Schläfchen hält? Das konnte sie sich nicht vorstellen.
»Wie kommt das Narkosegas ins Fahrerhaus? Die Türen kann man doch von innen verriegeln.«
»Schon, das hilft in diesem Fall aber nichts. Es gibt richtige Banden, die spritzen das Gas durch die Lüftungsschlitze der Türen in die Fahrerkabine. Das geht ratzfatz, schon ist man hinüber. Dann ein Brecheisen an der richtigen Stelle angesetzt, und die Tür ist auf.«
»Hm. Dann wäre es das vorerst. Ach ja, noch eine letzte Frage, Herr Frey: Wo waren Sie eigentlich zur Tatzeit, also am Montag um acht Uhr?«
Die Antwort kam umgehend, was sie überraschte. Sie hätte nicht aus dem Stegreif sagen können, wo sie vorgestern zu einem bestimmten Zeitpunkt war.
»Am Montagvormittag war ich in Ansbach. Auf Kundenakquise.«
Sie notierte sich den Namen des Kunden und legte auf.
»Dem haben Sie es aber gegeben!«, kommentierte Eva Brunner, die sie aufmerksam beobachtet
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