Duerers Haende
bitten darf: Suchen Sie sich doch ein paar Automodelle zusammen, die auf diese Beschreibung passen könnten, und legen diese dem Zeugen vor. Vielleicht erkennt er den Wagen wieder.«
Sie wandte sich an Heinrich. »Hast du dir schon Gedanken gemacht zu den betenden Händen, die uns irgendwie weiterbringen?«
»Hmhm«, nickte dieser und deutete auf einen Stapel von Computerausdrucken auf seinem Schreibtisch.
»Aber du wirst uns jetzt keinen stundenlangen kunsthistorischen Vortrag halten, oder?«
»Ich mach es ganz kurz, Paula, versprochen. Also, im Prinzip deutet bei dem Toten alles auf die betenden Hände von Dürer hin, wie du schon vermutest hast; ich hab mir die Fotos von Schuster speziell unter diesem Aspekt angesehen. Da muss es einen wie auch immer gearteten Zusammenhang geben. Insofern habe ich mich erst mal da ausgiebig kundig gemacht. Dürer kommt, das ist überall zu lesen, eine Sonderrolle zu: als Mittler zwischen Spätgotik und Renaissance. Und er entwarf als erster deutscher Künstler eine Theorie der bildenden Kunst. Er malte außerdem – auch das war in der damaligen Zeit neu – eine Reihe von Selbstbildnissen und entdeckte schon auf seiner ersten Italienreise, wiederum als erster deutscher Künstler, das Landschaftsthema. Ich könnte bei allen diesen Punkten auch mehr in die Tiefe gehen, wenn daran Bedarf besteht.« Heinrich sah hoffnungsvoll und fragend von seinen Unterlagen auf.
»Daran besteht kein Bedarf, nicht der geringste«, konterte sie blitzschnell, bevor Heinrich seine Drohung wahrmachen konnte. »Aber woran Bedarf besteht, ist eine Erklärung, wie all die von dir genannten Punkte zusammenhängen und vor allem: wie uns das bei der Suche nach dem Mörder weiterbringt.«
»Na, aber Paula, das liegt doch auf der Hand! Nimm doch nur mal das Landschaftsthema. Shengali wurde auf einem Parkplatz weitab jeder Zivilisation ermordet und dann anschließend vor das Wasserwerk gelegt. Also inmitten von Wiesen, kleinen Wäldern und dem Flusslauf der Pegnitz – Natur pur sozusagen. Und in Nürnberg muss man lange suchen, bevor man ein so idyllisches Plätzchen findet, das noch frei von irgendwelchen städtischen Merkmalen der Zivilisation ist. Hier also, an diesem handverlesenen Ort, ist man der Natur ganz nah, näher auf jeden Fall als den Menschen und vor allem ihren Konventionen, wozu auch die bürgerlichen Gesetze zählen. Das wollte der Mörder damit zum Ausdruck bringen; das war eine ganz bewusste Wahl, die er da getroffen hat.«
Sie zwang sich zu Geduld und Verständnis für diesen kruden Theorieansatz. Vielleicht war es doch ein Fehler, ihm dieses Symbol zur uneingeschränkten Deutung zu überlassen? »Gut, nehmen wir mal an, du hast recht. Was ist dann mit Dürers Selbstbildnissen und seiner Mittlerrolle, wie lassen sich die auf unseren Fall übertragen?«
»Auch das liegt eigentlich auf der Hand. Ebenso wie Dürer ein Mittler zwischen zwei Epochen der Kunstgeschichte ist, so sieht sich der Mörder als Mittler, und zwar als einer zwischen oben und unten, zwischen Himmel und Erde. Der Täter nimmt für sich mit dieser Geste das Recht in Anspruch, auf die bürgerlichen Gesetze zu pfeifen und an Gottes statt über Leben und Tod zu entscheiden. Und dazu passt wiederum sehr gut Dürers Vorreiterrolle in punkto Selbstbildnis: Hat nicht auch der Mörder seine persönliche Note dem Opfer aufgenötigt? Voller Selbstgefälligkeit eine Art Signatur mit diesen betenden Händen hinterlassen und sich damit auf eine Stufe gesetzt mit Dürer, der, als er sein erstes Selbstbildnis malte, ebenfalls von sich sehr überzeugt gewesen sein muss?«, fragte Heinrich rhetorisch, um dann mit professoralem Pathos fortzufahren: »Denn was ist eine Signatur anderes als die abschließende Kenntlichmachung des Werkes, das kürzeste und doch bekennendste Zeichen des Künstlers? Was das AD für Albrecht Dürer war, sind die betenden Hände für unseren Täter. Er hat in diesem Schlussbild des Toten auch viel von sich selbst preisgegeben, damit so etwas wie ein auf das Wesentliche reduziertes Selbstbildnis gezeichnet.«
Nachdem er geendet hatte, sah Heinrich sie selbstzufrieden an. Er war sichtlich stolz auf dieses gewagte Potpourri aus Kunsthistorie, geistlicher Gerichtsbarkeit und der Symbolkraft von Signaturen, bei dem die spirituellen und weltlichen Dinge ein wenig sehr durcheinandergeraten waren. Fast hätte sie laut hinausgelacht, da sie aber immer noch froh über seine Rückkehr war, zwang sie sich zu einem:
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