Duerers Haende
erst gar nicht bekommt, gewalttätig wird. Das heißt doch in der Verlängerung, wir sollen bei den aggressiven Arbeitslosen unseren Mörder suchen. Das ist doch Quatsch hoch drei!«
»Natürlich ist das Quatsch. Aber Kramer hat auch ein paar richtige Sachen gesagt. Wie die über die verletzte Ehre, über den Ehrbegriff.« Ihr fiel der Gedanke ein, den sie erst auf der Kindinger Parkbucht, dann vor dem Wasserwerk hatte: Hagen von Tronje bringt den Helden Siegfried um, der Auftragsmörder als kaltblütiger Verräter einer ehemals tiefen Männerfreundschaft.
»Ich glaube jetzt, dass die betenden Hände keine Warnung oder Botschaft des Mörders waren, sondern eine Finte. Auf die wir reinfallen sollen, auf die wir aber nicht reinfallen. Weil wir wissen, worum es letztendlich geht.«
»So, um was geht es denn letztendlich?«
»Um das weite Feld der Ehre, Heinrich.«
»Oh, toll, eine klasse Erklärung. Und so konkret. Das erleichtert uns die Arbeit ja ungemein.«
Als sie die Eilgutstraße erreicht hatten, setzte er unerwartet ernst hinzu: »Darf ich dir mal was sagen, ohne dass du mich gleich wieder runterbügelst wie heute Vormittag?«
»Ich habe dich nicht runtergebügelt, ich wollte nur …«
»Doch, das hast du«, unterbrach er sie. »Und meinst du, ich merke nicht, wenn du dich über mich lustig machst? So wie heute früh. Die Eva kennt dich erst ein paar Tage. Die kriegt so was natürlich nicht mit. Ich schon!«
Jetzt waren Diplomatie und Feingefühl gefragt. Und auch eine kleine Portion Wahrheit. Sie erwiderte: »Also, der Anfang deiner Ausführungen hat mich wirklich überzeugt. Da könnte was dran sein. Ja. Mag sein, dass ich am Schluss deines Vortrags ein wenig, sagen wir: überrascht war. Das aber wiederum dürfte dich nicht wundern. Du weißt doch, ich habe es mehr mit den konkreten, handfesten Dingen. Mir fehlt da eben deine unbändige Phantasie.«
Heinrich, der sie während ihrer Rede aufmerksam beobachtet hatte, schien das als Erklärung zu genügen, denn er nickte und sagte dann: »Ich glaube nicht, dass die Hände eine Finte waren. Auch keine Warnung oder Drohung. Ebenso wenig ist der Täter ein Psychopath, wovon die Eva überzeugt ist. Ich glaube, der Mörder hat Shengali aus zwei Gründen vor das Wasserwerk so hindrapiert: zum einen aus Lust am Spiel. Und zum anderen um sich in diesem Detail als kundigen Ästheten, als kunstsinnigen Experten zu verewigen, vor sich selbst, aber auch vor der Öffentlichkeit. Dem war das zu platt, den Leichnam einfach so abzulegen und dann wegzufahren. Er wollte ihm zum Schluss noch eine eigene, seine persönliche Note verpassen, seinen Stempel aufdrücken. Eine Duftmarke setzen. Dass er dafür ausgerechnet dieses volkstümliche Symbol der Religiosität, das Synonym des Betens und Trauerns gewählt hat, spielt bei der Sache eine untergeordnete Rolle. Da habe ich anfangs zu viel hineininterpretiert, da hast du schon recht. Auf jeden Fall ist das jemand, der mit seiner Stellung in der Gesellschaft nicht zufrieden ist. Der von sich ein anderes Bild hat als seine Umwelt. Und diese unterschiedlichen Sichtweisen korrigiert er mit diesem Arrangement zu seinen Gunsten, nimmt sich dafür die nötige Zeit und vergrößert damit sogar das Risiko, dabei gesehen, entdeckt zu werden.«
»Ein Wichtigtuer, ja, das klingt glaubhaft und logisch. Da stimme ich dir voll und ganz zu, Heinrich. Schade nur, dass uns dein Profiling ermittlungstechnisch so gar keinen Schritt voranbringt.«
»Momentan noch nicht. Aber manchmal hilft einem ja der Zufall. Sagt zumindest meine Chefin immer, und die muss es wissen, die hat nämlich bis jetzt jeden Fall gelöst.« Er lächelte sie an.
Es war dieses zufriedene und verschmitzte Lächeln, das sie Heinrichs Vorlage aufgreifen und weiterspinnen ließ. »Ein Gernegroß, der eine Leiche als Deko-Material benutzt und der sich sehr sicher fühlt. Weil niemand ihm die Tat zutrauen würde. Und es ist jemand, der sich eingehend mit Kunst beschäftigt. Wobei, dafür reichen Grundkenntnisse. Dürers Hände kennt jeder. Zumindest in Nürnberg. Oder?«
»Exakt. Ein hochgradiges Arschloch aus dem mittelfränkischen Raum mit kunstgeschichtlichem Allerweltswissen«, setzte Bartels den Schlusspunkt unter dieses fein ziselierte Profiling.
Auf dem Parkplatz des Hauptbahnhofs trennten sich ihre Wege. Heinrich wollte heim, sie musste den Wagen ins Präsidium zurückbringen.
Dort wartete eine aufgeregte Eva Brunner auf sie.
»Stellen Sie sich vor, der Rentner
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