Duerers Haende
lächelndem Gesicht war Paula Steiner trotz der Florentiner nicht entgangen.
»Ja. Aber die können wir Ihnen gegenüber leider nicht darlegen, wofür Sie bitte Verständnis haben wollen.«
Sie horchte auf. Heinrich hatte inzwischen die betont weltmännischen Umgangsformen Kramers und dessen ein wenig altklugen Habitus adaptiert. Es war sonst nicht seine Art, solche Floskeln abzusondern.
»Seit wann gibt es Ihre Agentur?«
»Seit acht Jahren.« Auf Heinrichs fragenden Blick fügte Kramer hinzu: »Ich war bis dahin selbst Arbeitsvermittler beim Arbeitsamt, damals hieß es ja noch so. Aber dann sah ich dort keine Entwicklungschancen mehr für mich und habe mich selbstständig gemacht. Man kann also sagen, ich habe den Beruf von der Pike auf gelernt.«
Da von Heinrich die nächste naheliegende Frage ausblieb und sämtliche Florentiner der Porzellan-Etagere aufgegessen waren, stellte sie diese Frage: »Sind die Bezüge als Arbeitsvermittler so üppig, dass man sich dies alles hier«, sie deutete in einer ausladenden Geste auf die Antiquitätensammlung, »so ohne Weiteres leisten kann?«
»Nein«, lächelte Kramer, »das nicht. Aber ich hatte zu diesem Zeitpunkt etwas geerbt. Zudem erleichterte mir mein früherer Arbeitgeber den Weg in die Selbstständigkeit. Das Arbeitsamt bewilligte mir einen Gründungszuschuss für die ersten sechs Monate. Trotzdem war es ein Wagnis mit offenem Ausgang. Vor allem die beiden Anfangsjahre waren finanziell gesehen nicht leicht. Letztendlich gaben meine profunden Kenntnisse und auch meine persönlichen Beziehungen zu den Klienten den Ausschlag dafür, dass ich schon nach kurzer Zeit schwarze Zahlen schreiben konnte.«
Da sich mit dem letzten Mini-Florentiner auch die besänftigende Wirkung des Farbenarrangements verflüchtigt hatte, wechselte sie übergangslos, ja, fast schon unhöflich das Thema. »Nur eine letzte Frage noch, Herr Kramer. Sie haben doch bestimmt ein Auto. Wenn Sie uns sagen würden, welches Fabrikat, welches Baujahr und die Farbe, bitte.«
»Ich fahre einen Audi A4. Schwarz, vom letzten Jahr. Geleast.«
Sie bekam den Eindruck, dass er wachsam wurde, was wiederum dazu führte, dass sie ihre Aufmerksamkeit schärfte. Sie sah kurz zu Heinrich, der sich Notizen machte. Er würde diese Aussage als Erstes überprüfen.
Kramer stand auf. »Ich wünschte, ich hätte Ihnen bei Ihrer Arbeit helfen können.«
Sie merkte, dass der Agenturleiter die Teestunde gerne als beendet betrachten wollte. Sie jedoch wollte ihn noch ein wenig zappeln lassen. Also blieb sie sitzen. »Aber das haben Sie doch, Herr Kramer. Sie haben uns sogar sehr geholfen, mehr als Ihnen vielleicht bewusst ist«, plapperte sie drauflos und ließ den Blick nicht von Kramers Gesicht, auf dem sich nun Ungeduld und eine leichte Nervosität ausbreiteten. »Dürfte ich Ihnen noch eine Frage stellen? Das wäre dann aber wirklich meine allerletzte.«
Wieder diese elegante Kopfbewegung, die sie als Erlaubnis deutete.
»Sie als jemand, der mit dieser Thematik seit Jahren beruflich zu tun hat, sie sozusagen aus dem Effeff beherrscht, können uns doch sicher eine Ahnung vermitteln, welchen Stellenwert die Arbeit für Menschen wie Shengali oder Ostapenko hat.«
Kramer gab vor, nachzudenken. Schließlich sagte er: »Einen hohen, vielleicht sogar den höchsten. Neben der Familie, versteht sich. Jeder Mensch ohne Arbeit fühlt sich ausgeschlossen, überflüssig, nicht zur Gesellschaft gehörig, in seiner Ehre verletzt. Aber bei Ausländern wie Herrn Shengali kommt die – natürlich unrichtige – Überzeugung hinzu, sie seien unwillkommen. Und dieses Gefühl birgt meines Erachtens ein nicht zu unterschätzendes Gewaltpotenzial in sich. Denn wie reagiert jemand, der sich von seiner Umwelt abgelehnt sieht, dessen Ehrbegriff auf das Gröbste verletzt wird? Mit Aggression, mit Gewalt. Wir sehen es ja vor allem bei den Jugendlichen mit Migrationshintergrund allenthalben.«
Sie kommentierte diesen Kurzvortrag inklusive der überraschenden Schlusswendung mit einem »Aha. Interessant« und erhob sich. Kramer verabschiedete seine Gäste an der Tür. Draußen stand bereits Frau Bernreuther bereit, um sie hinauszubegleiten.
»Dieser Mensch hat ja seltsame Ansichten«, murmelte Heinrich, als sie wieder draußen standen. Auf ihren fragenden Blick fügte er hinzu: »Du fragst ihn nach der Bedeutung, die die Arbeit für Migranten oder Ausländer generell hat. Und er antwortet: Eine so große, dass jeder, der sie verliert oder
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