Duerers Haende
packen und weggehen?«
»Nein, natürlich nicht. Aber ich heiße auch nicht Susanka Blahotova, bin nicht so schön, kann mich Gott sei Dank selber ernähren und muss mich nicht von einem Mörder mit glatten kinnlangen blonden Haaren aushalten lassen. Vor allem über Letzteres bin ich übrigens sehr froh. So, jetzt aber, ich hab die Nummer.«
Nachdem sie ihm das Kennzeichen durchgegeben hatte, sagte Dennerlein leise und voller Bitterkeit: »Ihr seid doch alle kalte, hartherzige Weiber!« Dann hängte er grußlos ein.
Sie konnte an dem Verhalten der Tschechin nichts Verwerfliches entdecken. Obwohl, ein wenig seltsam war das schon. Keine Träne, keine Verzweiflung, kein Zusammenbruch, keine Frage, wie es geschehen war, wer es gewesen sein konnte, gar nichts. Keine Trauer, nur kühles Kalkül. Die Welt der Blahotova war ihr fremd. So fremd und undurchsichtig wie die von Karsten Kramer. Ein Mann, der in einem mit wertvollen Antiquitäten möblierten Zimmer Lager- und Staplerfahrer empfing. Der seine weiße Wohnung mit einem wurmstichigen volkstümlichen Altar aufpeppte. Ein Mann, der einen Berufskraftfahrer mit einem Wagenheber aus den sechziger Jahren niederschlug, ihn dann barbarisch verbluten ließ und ihn zum Schluss noch mit einer symbolhaften Geste ausstaffierte, aufpeppte wie sein Schlafzimmer mit einer Kreuzigungsgruppe. Was war das für ein Mensch? Das war auf jeden Fall jemand, dem die Oberfläche der Wahrnehmung von außen über alles ging. Weil er den Kern, der sich darunter verbirgt, mit allen Mitteln, auch mit denen der Gewalt, geheim halten wollte. Und was verbarg sich im Kern, im Innersten des Agenturleiters, was keiner wissen durfte?
Nach einer Weile stellte sie diese düsteren wie unergiebigen Grübeleien ein und schrieb stattdessen auf einen Zettel: »An Heinrich. Spar dir das mit der Zeugensuche! Kümmere dich bitte vorrangig um Kramers Konten. Danke, Paula«.
Sie fühlte sich plötzlich so erschöpft, dass sie am liebsten den Kopf auf die Schreibtischplatte gelegt hätte. Da klopfte es an ihre Bürotür. Sie schrak auf. Erst beim zweiten Klopfen sagte sie unsicher: »Ja, bitte.«
Der späte Gast war eine ebenso unsichere Sandra Reußinger, die abwartend im Türrahmen stehen blieb. »Ich habe bei Ihnen noch Licht gesehen, Frau Steiner. Aber ich kann auch morgen wiederkommen, wenn ich jetzt störe.«
Sie schüttelte verneinend den Kopf. Sie war noch so in der ihr fremden Welt des Karsten Kramer gefangen, dass sie für einen Moment keine Erklärung für diesen seltenen Besuch hatte, auch gar nicht danach suchte. Doch dieser Moment währte nicht lang. Als die Chefsekretärin nach dieser stummen, aber eindeutigen Einladung immer noch abwartend im Türrahmen stand, fiel ihr deren forsches Auftreten vom heutigen Vormittag wieder ein. Ah, der späte Gast war gekommen, um sich zu entschuldigen. Sie entschloss sich, es ihrer Intimfeindin leicht zu machen. Erstens war sie müde. Zweitens erinnerte sie sich an ihr durchaus ernst gemeintes Vorhaben, in Zukunft mehr auf die Gefühle der anderen zu achten. Drittens, und das war der eigentliche, der ausschlaggebende Punkt, wollte sie die nun folgende, offenbar unumgängliche Peinlichkeit für beide Seiten so kurz wie möglich halten. Vor allem für sich selbst.
»Kommen Sie doch herein, Frau Reußinger. Und setzen Sie sich an Herrn Bartels’ Schreibtisch, wenn es länger dauern sollte«, sagte sie wachsam, aber nicht streitlustig. Es klang wie »Bringen wir es schnell hinter uns«.
Artig nahm die Sekretärin auf Heinrichs Stuhl Platz, atmete einmal tief durch, dann schweifte ihr Blick nach rechts zum Fenster, in dem sich ein einsames Licht aus dem Gebäudeflügel gegenüber spiegelte.
»Also«, begann sie leise, »ich habe mich heute Morgen bei Ihnen gewaltig danebenbenommen. Es geht natürlich nicht an, dass ich Arbeit an Sie verteile. Ich habe meine Kompetenzen bei Weitem überschritten. Das tut mir leid, und ich bitte Sie dafür um Entschuldigung.« Ihre Stimme klang beherrscht.
Das war der offizielle, einstudierte Teil, dem umgehend, ohne dass die Kommissarin die Chance ergreifen konnte, sich und ihrer Intimfeindin weitere Minuten der Verlegenheit zu ersparen, der inoffizielle, improvisierte folgte.
»Ich weiß auch nicht, was da in mich gefahren ist. Das hab ich noch nie gemacht. Ich kann manchmal richtig ekelhaft sein, gell? Und vor allem zu Ihnen, Frau Steiner. Und ich will das eigentlich gar nicht, meistens zumin…«
»Ich bin ja auch nicht
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