Duerers Haende
immer die Verträglichste, Frau Reußinger«, unterbrach sie das Gestammel von gegenüber. »Ich kann auch manchmal richtig ekelhaft sein. Meistens gleicht es sich dadurch unter uns beiden ja wieder aus, oder?«
Sandra Reußinger nickte heftig und erleichtert. »Ja, das tut es.«
Schließlich fragte sie noch allen Ernstes: »Vielleicht zoffen wir deswegen so oft miteinander, weil wir uns so ähnlich sind?«
Eine sehr gewagte, aus den Untiefen der Vulgärpsychologie hergeholte Theorie, über die Paula Steiner schmunzeln musste. Mit einem raschen Heben und Senken der Schultern gab sie ihrem Alter ego zu verstehen, dass die Frage nicht so leicht zu beantworten sei.
»Heißt das denn, Sie nehmen meine Entschuldigung an?«
»Ja, das heißt es. Und jetzt vergessen wir die ganze Sache.«
»Gut. Da bin ich aber froh. Jetzt kann ich ganz entspannt heimgehen. Danke, Frau Steiner.«
Bevor ihre Besucherin sich ganz entspannt auf den Heimweg machen konnte, wollte sie von ihr noch etwas wissen.
»Eine letzte Frage, Frau Reußinger, hätte ich noch, die mit dieser schon vergessenen Sache nichts – ich betone: nicht das Geringste – zu tun hat. Sie müssen auch nicht antworten. Hat Herr Fleischmann Sie zu mir geschickt oder sind Sie aus freien Stücken gekommen?«
Da drehte sich die Sekretärin ihres Chefs erstaunt um, sah ihr fest in die Augen und sagte, ohne zu zögern: »Ich bin natürlich aus freien Stücken zu Ihnen gekommen. Glauben Sie denn, ich lasse mir von jemandem, selbst wenn es mein Chef ist, so etwas anschaffen? Das würden Sie doch auch nicht machen, oder?«
Sandra Reußinger wartete eine Antwort auf ihre hypothetische Frage nicht ab, sondern verschwand nun endgültig mit einem fast herzlichen »Auf Wiedersehen bis morgen, Frau Steiner« aus dem Zimmer.
Was für ein denkwürdiger Tag! Der Tag, an dem sich die Reußinger bei ihr entschuldigt hatte! Aus freien Stücken! Am liebsten wäre auch sie jetzt ganz entspannt heimgegangen, zu ihrem Weinkeller und zu ihrem leeren Kühlschrank. Da aber Paula Steiner zu den Menschen gehörte, die sich nur dann wohlfühlen und mit sich zufrieden sein können, wenn sie ihre Pflichten gewissenhaft abgearbeitet haben, ging sie nicht heim, sondern fuhr Richtung Galgenhof.
Auf dem Weg in die Rankestraße hielt sie in der Südstadt an und kaufte in einem türkischen Gemüseladen Zwiebeln, Tomaten, eine Paprikaschote und vier Eier. Es war kurz nach acht Uhr, als sie direkt vor Ostapenkos Wohnung ihren Wagen parkte. Sie hatte sich vorgenommen, dass sie, sollte beim ersten Klingeln niemand aufmachen, sofort umkehren und heimfahren würde.
Leider schnappte die Haustür schon kurz nach dem ersten Läuten auf. Oben am Treppenabsatz stand Stefanie Vitzthum, einen bettfeinen Buben im Arm. Er trug einen hellblauen Schlafanzug, über und über mit kleinen Bären verziert, hatte blondes Haar und das kreisrunde Gesicht seines Vaters. Er strahlte sie an, mit nach vorn gestülpten Lippen und fest geschlossener Zahnreihe.
»Ich hab schon Zähne geputzt, schau!«, krähte er ihr stolz als Begrüßung entgegen.
»Toll, ganz toll! Ich noch nicht, Lukas«, erwiderte sie anerkennend. Was sonst hätte sie in dieser für sie ungewohnten Situation auch entgegnen sollen? Sie hatte wenig Umgang mit Vierjährigen.
Stefanie Vitzthum sah sie fragend an.
»Guten Abend. Ich muss mich entschuldigen, dass ich noch so spät bei Ihnen geklingelt habe. Aber ich muss mit Ihnen sprechen. Es wird nicht lange dauern.«
Stefanie Vitzthum, heute ungeschminkt und in einem erdbeerfarbenen Hausanzug aus Plüschcord, schien das als Erklärung für diesen späten unangemeldeten Besuch zu genügen. Sie trat bereitwillig in den Flur zurück und ließ die Kommissarin eintreten.
»Bitte, nehmen Sie doch inzwischen im Wohnzimmer Platz. Ich war gerade dabei, Lukas ins Bett zu bringen. Keine leichte Aufgabe, das kann ich Ihnen sagen, gell, mein Schatz.« Sie drückte ihrem Sohn einen dicken Schmatz auf die rechte Wange. »Wenn ich das erledigt habe, bin ich für Sie da. Lukas, sag der Frau Steiner Gute Nacht.«
Sie setzte sich auf das weiße Designersofa, lehnte sich zurück und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. Aus dem hinteren Bereich der Wohnung drangen immer wieder Wortfetzen von Lukas’ fröhlichem Gequake zu ihr ins Wohnzimmer. Bald war nur mehr die helle, klare Stimme von Stefanie Vitzthum zu hören, die ihrem Sohn eine Gutenachtgeschichte vorzulesen schien. Eine heile Welt, deren Zauber auch sie bald
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