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Dürre Beweise

Dürre Beweise

Titel: Dürre Beweise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Rebhandl
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noch schlechter drauf als die Biene, ich war umgeben von Patienten und hätte mich auf Pfleger umschulen lassen können. Wenn ich das gewollt hätte!
    Im Krankentransport ging es nach Hause, zwei Höllenhunde mit zertrümmerter Nase. Im Auto fragte ich ihn, wie es sein konnte, dass keiner das fette Mädchen vermisste, was der Fall war, denn es gab keine Vermisstenanzeige.
    Er sagte: „Die Zeiten sind nun mal so, und sie sind kalt und traurig.“
    Dabei klang Selbstmitleid durch, es hörte sich an wie ein Hilfeschrei. Ich schaute ihn an, und wir dachten vermutlich das Gleiche: Wenn ich den Wagen heute in die Donau hineinlenken würde, so, dass er nicht mehr auftauchte, dann würde auch wegen uns nirgendwo eine Vermisstenanzeige eintrudeln, irgendwann würden sie vielleicht beginnen, ihm die Pension zu überweisen, und der Verband heimischer Privatdetektive würde vielleicht nach fünfzig Jahren aufhören, mir eine Einladung zur alljährlichen Weihnachtsfeier zu schicken. Aber sonst?
    Lemmy würde es nicht einordnen können, wenn ich nicht wie jeden Morgen bei ihm auftauchte. Lovegod war ein Brotha, aber kein Bruder, der sich um einen kümmerte. Meine Mutter? Verdammt, keine Ahnung, wo die war! Und von Bertha hatte ich nicht mal die Adresse. Wer blieb?
    Jolanda?
    Endlich fragte ich ihn: „Was ist wirklich mit dir und Jolanda?“
    Er fasste sich wieder ans Herz. Ich legte James Carr mit „Forgetting You“ ein, und dann brach es aus ihm heraus, denn er konnte sie natürlich nicht vergessen: „Es lief eigentlich ganz gut mit uns beiden, wie ich fand, sie freute sich, mich zu sehen, und sie freute sich über meinen Appetit.“
    Ich fragte: „Und was war der Plan, Gutti, was war die Perspektive? Nächsten Frühling mit ihr Eis essen gehen?“
    „Hör auf! Sie ist eine einfühlsame und verletzte Frau, ich hätte sie behutsam umworben, und wer weiß …“
    „… ob ihr im Frühling nicht gemeinsam Eis essen gegangen wärt?“
    „Und wenn schon! Dann wären wir eben zusammen Eis essen gegangen!“
    Er klang so reif und verständnisvoll, Eigenschaften, die ich an ihm bisher nicht wahrgenommen hatte und die mir selbst gänzlich fehlten. In diesem Moment bewunderte ich ihn beinahe und war richtig froh, ihn als Freund zu haben. Ich war mir sicher, er würde mich suchen, wenn ich den Wagen in die Donau lenkte, er durfte nur nicht neben mir sitzen.
    Er erzählte weiter: „Vor vier Tagen war ich wieder bei ihr, es war eigentlich sehr schön, sie sperrte früher zu und stellte mir noch ein Süppchen vor die Nase …“
    Ich fragte: „Moment, sie sperrte von innen zu?“
    „Ja!“
    „Verdammt! Wenn sie von innen zugesperrt hat, dann wollte sie, dass du bleibst!“
    „Meinst du wirklich?“
    „Ja! Was habt ihr dann gemacht?“
    „Wir hielten fast schon Händchen, als sie plötzlich in die Küche verschwand, weil dort auf einmal jemand war, der nach ihr schrie. Dann hörte ich sie streiten, auf Serbisch. Dann kam der Kerl plötzlich heraus aus der Küche, stellte sich nicht mal vor, und setzte mir eins auf die Nase, und alles war voll mit Blut …“
    Ich fragte: „Die Suppe auch?“
    „Die Suppe auch. Jolanda schrie, ich schrie, der Wahnsinnige schrie auch, und dann war er wieder weg.“
    Ich fragte: „Sollst du die Finger von ihr lassen? War das die Botschaft?“
    Er sagte: „Ich denke, ja.“
    „Alter Schwede!“
    Mit diesen verdammten Balkanesen war nicht gut Kirschen essen, schon gar nicht, wenn es um ein Mädel ging. War Guttmann dort also einem Nebenbuhler begegnet, einem heißblütigen jungen Serben noch dazu, der gleichwohl ältere Ansprüche auf Jolanda anmelden konnte und ihm deswegen die Nase gespalten hatte, nachdem er zu oft und zu lange dort gesessen war und zu viel gegessen hatte? Und war es der Gleiche, der dann Jolanda auch noch die Nase gespalten hatte, als ich ihr nicht helfen konnte?
    Guttmann wollte über all das nicht mehr nachdenken, er hatte seinen Schluss gezogen: „Ich bin jedenfalls fertig mit den Weibern.“
    „Ich dachte, das warst du schon lange?“
    „Jetzt bin ich’s wirklich.“
    Beide waren wir alleine, beide trugen wir die Spuren des Kampfes in unserem Gesicht. Helden sahen anders aus, sie rochen anders, sie kleideten sich anders, sie wohnten anders.
    Ich gab Guttmann den Arm, als ich ihn durch dichtes Schneetreiben und an scheißenden Hunden vorbei zu seinem Gemeindebau führte, den man extra für Leute wie ihn mal gebaut hatte. Auf 40 Quadratmetern lebte er hier

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