Düsterbruch - Almstädt, E: Düsterbruch
wichtig aussehende Menschen. Sie waren von einem der Kellner an einer Traube wartender Gäste vorbeigeführt worden und hatten im Bistrobereich einen Tisch für drei Personen bekommen. Tizia vermutete, dass sie nicht reserviert hatten. Daraus schloss sie, dass er , Nadjas Bekannter, vielleicht etwas nachgeholfen hatte.
An einer Wand des Lokals stapelten sich Weinkühlschränke mit Glastüren bis unter die Decke. Aus dem dahinterliegenden Küchenbereich war das Zischen der Fleischstücke zu hören, die im heißen Fett brieten. Und alle Leute sahen so gut aus: Frauen auf hochhackigen Schuhen, mit hochgestecktem Haar und klimpernden Ketten und Armreifen. Die meisten Männer hatten einen Anzug an und ein weißes Hemd mit oder ohne Krawatte. Einige trugen ihr längeres Haar zurückgegelt. Eine andere Welt.
Tizia hatte drei Kellner und eine weibliche Bedienung in langen Schürzen gezählt, die allein um ihren Tisch herumwuselten. Sie drückte sich in die Nische gegen die hohen, grauen Polster und versuchte, alle Eindrücke in sich aufzusaugen. Allein das hier war den Ärger mit ihrem Vater wert, den sie sich mit ihrer Flucht eingehandelt hatte. Doch wenn sie ehrlich zu sich selbst war, waren das Interieur, die Leute und das tolle Essen gar nicht das Entscheidende: Er war entscheidend. Nadja hatte ihn als Vadim vorgestellt, einen langjährigen Freund. Immer, wenn sich seine blauen Augen auf sie richteten, hörte Tizia ein Rauschen in den Ohren. Er war schlank und nicht viel größer als sie, hatte blondes, sehr kurzes Haar und eine Lücke zwischen den Schneidezähnen. Aber er sah nicht harmlos oder süß damit aus. Eher hatte sie den Eindruck, als könnte er sie mit seinem Blick am Boden festnageln. Gerade redete er mit Nadja, sodass Tizia einfach nur dasitzen und ihn ansehen konnte.
»Wollen wir nach dem Essen noch auf ein kleines Spielchen nach oben gehen?«, fragte er Nadja. Er sah zu Tizia hinüber. »Warst du schon mal im Casino?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Es ist im Grunde wie überall: Die Männer verdienen die Kohle, zum Beispiel beim Pokern, und die Frauen verspielen alles wieder beim Roulette.« Er zeigte seine Zahnlücke. »Weißt du noch, Nadja? Du hast letztes Mal am Schluss alles auf irgendeine blödsinnige Zahl gesetzt. War es die Fünfzehn?«
»Es war die Sechzehn, Vadjuscha, dein Geburtstag«, sagte Nadja würdevoll. Tizia versuchte, welterfahren zu lächeln. Glücksspiel – ihr Vater würde ausrasten!
»Also: Hast du Lust?«
»Sie ist noch nicht achtzehn, Vadim«, mahnte Nadja.
»Wie schade.«
»Außerdem will sie möglichst schnell nach New York«, setzte Nadja hinzu.
»Meine Mutter erwartet mich.« Tizia schien die kleine Lüge ganz ratsam zu sein.
»Morgen gehen auch noch genügend Flüge«, sagte Vadim mit seinem eigentümlich charmanten Akzent zu ihr. Er probierte den Wein und nickte dem Sommelier beiläufig zu. »Aber du solltest vielleicht nicht unbedingt ab Hamburg fliegen, Tizia. Wenn dein Vater nicht will, dass du nach Amerika reist, um deine Mutter zu sehen, dann suchen sie bestimmt schon nach dir.«
Nadja hatte also gequatscht. Sie, Tizia, war mal wieder zu vertrauensselig gewesen. Aber Vadim tat so, als wäre es völlig normal, dass eine Siebzehnjährige ohne Erlaubnis ihres Vaters in die USA fliegen wollte.
»Du kannst doch bestimmt was für sie arrangieren, Vadim?« Nadja zupfte abwechselnd an einer blonden Haarsträhne und am Ausschnitt ihres Kleides. Tizia, die für die Reise ihre Lieblingssachen angezogen hatte, kam sich schäbig neben ihr vor.
»Ich muss morgen sowieso in die Staaten. Ich fliege über Kopenhagen. Da lässt sich sicherlich was organisieren.«
»Was?« Nadjas Messer fiel klirrend auf den Teller. Sie hatte sich gerade ein Stück Weißbrot mit Kräuterbutter bestrichen. »Du hast mir gar nicht gesagt, dass du schon wieder wegmusst, Vadim.«
»Wenn ich immer sagen würde, was ich vorhabe, wär ich längst tot.« Er klang ernst.
Tizia merkte, wie Nadja sie mit einem seltsamen Blick bedachte. Dann sah sie Vadim an. Die Spannung zwischen ihnen war fast greifbar. Das mussten die beiden erst mal untereinander klären. Tizia nahm die schwere, steife Stoffserviette vom Schoß, tupfte sich den Mund ab und legte sie neben ihren Teller. Einen Augenblick lang war sie ihrer Großmutter und Carola dankbar für den Drill in frühen Jahren. »Entschuldigt mich bitte einen Augenblick.« Sie erhob sich.
»Wo willst du hin?« Vadims Stimme war leise, aber
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