Düsteres Verlangen: Die wahre Geschichte des Victor Frankenstein (German Edition)
den Beinen«, meinte ich und versuchte, zuversichtlich zu klingen. »Bestimmt nur eine Erkältung.«
Später am Nachmittag kam Dr. Lesage, um Konrad zu untersuchen. Zur großen Erleichterung aller sagte er, es sei nicht die Pest. Er empfahl drei Tage Bettruhe, keine andere Nahrung außer Fleischbrühe und regelmäßige Übungen mit seinem patentierten Kräftigungsprogramm.
Mutter verbot uns, sein Schlafzimmer zu betreten, da sie Angst hatte, wir würden das Fieber einfangen. Elizabeth wollte bei Konrads Pflege helfen, doch trotz ihrer Proteste wurde uns nur erlaubt, von der Tür aus Hallo zu sagen.
»Ich bin gerade kein besonders fröhlicher Gastgeber, Henry«, sagte Konrad von seinem Bett aus.
»Dann werd eben schnell wieder gesund, damit du ihn ordentlich unterhalten kannst«, meinte ich.
»Red keinen Unsinn«, sagte Henry. »Ruh dich erst mal aus, Konrad.«
»Werd schnell wieder gesund«, sagte Elizabeth.
Konrad nickte. »Mach ich. Ich verspreche es.«
Aber fünf Tage später war er immer noch bettlägerig.
Unser Unterricht am Vormittag verlief gedämpft. Elizabeth, Henry und ich saßen in der Bibliothek und hörten zu, wie Vater uns von den Grundlagen der Demokratie und den frühen griechischen Denkern erzählte. Auch in meinen besten Zeiten fiel es mir schwer, mich zu konzentrieren, doch jetzt war es mir geradezu unmöglich. Immer wieder schaute ich zu Konrads leerem Stuhl.
Auch Vater schien in Gedanken abwesend zu sein. Normalerweise war sein Unterricht sehr temperamentvoll, er ging auf und ab, schlug auf den Tisch und feuerte Fragen auf uns ab wie eine Salve von Pfeilen. Doch heute entließ er uns früh und sagte, wir sollten an die frische Luft gehen.
Als Mutter beim Mittagessen zu uns an den Tisch kam, sah sie sehr ernst aus.
»Wie geht es ihm?«, fragte Elizabeth besorgt.
»Er hat wieder Fieber und klagt über Gliederschmerzen. Er sagt, dass ihm der Kopf hämmert, wenn ich ihm vorlese.«
Vater nahm Mutters Hand. »Er ist sehr stark. Das Fieber wird bald wieder sinken. Alles wird gut.«
Am Nachmittag stieg Konrads Fieber an. Dr. Lesage kam und ließ einige Pülverchen da, von denen er sagte, sie seien gut zur Bekämpfung von Infektionen.
Vor dem Abendessen ging ich mit Elizabeth und Henry zu Konrad, um nach ihm zu sehen. Wir standen in der Tür und sahen, wie Maria ihm sanft die Stirn mit einem Stück kühlem Stoff abwischte. Er zuckte zurück, wand sich und murmelte unverständliches Zeug. Maria versuchte, seine Bettlaken zu glätten, und gab beruhigende Geräusche von sich.
»Ich hab noch nie einen so heißen Kopf gespürt«, sagte sie leise zu uns.
Meinen Bruder so krank zu sehen, weckte in mir Gefühle, die ich kaum ertragen konnte. Wenn er sich nun nicht erholte? Wenn ich ihn verlieren würde? Immer wenn ich ihn anschaute, war mir, als würde ich mich selbst anschauen, als würde ich meinen eigenen Körper von Fieber und Schmerzen gequält sehen.
Und noch seltsamer: Ich war wütend. Wie hatte Konrad zulassen können, dass das passierte? Wie konnte jemand, der so gesund, klug und einfühlsam war, so krank werden?
Ich schämte mich für diese Gedanken.
Und ich schämte mich dafür, dass ich so machtlos war und ihm nicht helfen konnte.
An diesem Abend konnte ich nichts essen. Der ganze Körper tat mir weh und mein Magen spielte verrückt.
»Victor«, fragte meine Mutter, »geht es dir nicht gut?«
»Ich weiß nicht so genau.«
»Du bist blass«, sagte sie.
Ich blickte zu Henry, dann zu Elizabeth und sah ihren schnellen besorgten Blick zu Mutter. Plötzlich krampfte sich mein Magen zusammen, und ich musste schnellstens vom Tisch aufstehen und zum nächsten Klosett rennen, wo ich mich heftig übergab, immer wieder. Die Tränen quollen mir aus den Augen, und ich konnte mich nicht erinnern, mich jemals so krank gefühlt zu haben.
Was mit Konrad passiert war, passierte nun mir.
Die ewig lange Nacht bestand nur aus Herumwerfen und Drehen, Zittern und Schwitzen. Wenn ich aufwachte, hatte mich das Entsetzen voll im Griff, und wenn ich schlief, dann nur in grausamen Fetzen mit widerlichen Träumen. In einem führte ich mit Konrad unser Stück auf, zuerst vergnügt, doch dann mit wachsender Wut, und als ich ihn dann mit dem Schwert erschlug, war es ein echtes Schwert, echtes Blut strömte aus seiner Brust und ich lachte und lachte – und wachte schweißgebadet und keuchend auf.
Während der Nacht nahm ich Mutter und Vater und die Diener, die sich um mich kümmerten, nur undeutlich
Weitere Kostenlose Bücher