Düsteres Verlangen: Die wahre Geschichte des Victor Frankenstein (German Edition)
ein ganz kleines Kind.
In den nächsten Tagen versuchte ich, hoffnungsvoll zu bleiben und mir einzureden, Konrad gehe es langsam besser.
Das Fieber kehrte nicht mit voller Stärke zurück, verschwand aber auch nicht ganz. Nach einem morgendlichen Absinken kam es am späten Nachmittag immer wieder zurück – wie ein teuflischer Sturm, der eine Pause machte, nur um dann mit erneuter Macht loszubrechen.
Da wir nun wussten, dass seine Krankheit nicht ansteckend war, verbrachte Elizabeth einen großen Teil ihrer Zeit damit, Mutter und der Dienerschaft bei der Pflege zu helfen. Sie las ihm auch vor, um ihn von seinen Schmerzen abzulenken. Wenn es ihm einigermaßen gut ging, schauten Henry und ich bei ihm vorbei. Wir unterhielten uns dann oder spielten eine Partie Schach mit ihm. Die wurde allerdings selten beendet, da er dann meistens über Kopfschmerzen klagte oder einfach zu schwach war, um sich zu konzentrieren.
Ich fühlte mich seltsam unvollständig, wenn ich ohne meinen Bruder durch das Schloss streifte. Nicht dass wir sonst immer beieinander gewesen wären, doch nun empfand ich seine Abwesenheit stärker. Einmal, als wir sechs waren und es Mutter während der Schwangerschaft mit Ernest nicht gut ging, hatte Vater uns für zwei Wochen zu verschiedenen Verwandten geschickt. Das war die einsamste und unglücklichste Zeit meines Lebens gewesen.
Doch das hier war schlimmer.
Warum nur ging es Konrad nicht besser?
»Du musst mich zur Messe begleiten«, sagte Elizabeth am Sonntagmorgen beim Frühstück im Speisezimmer.
Den Mund noch voller Brot, blickte ich für einen Augenblick etwas verständnislos von meinem gekochten Ei auf, denn ich war so daran gewöhnt, dass Konrad sie zum Dom in Genf oder zu der kleinen Dorfkirche in Bellerive begleitete.
»Ja, natürlich«, erwiderte ich.
»Philippe wird den kleinen Wagen für euch anspannen«, sagte Vater.
Obwohl meine Eltern selbst nicht gläubig waren, hatten sie nicht das Bedürfnis, Elizabeth ihren Glauben zu nehmen, und sicherlich war noch kein Sonntag vergangen, ohne dass sie einen katholischen Gottesdienst besucht hätte.
Es war eine Erleichterung, vom Schloss wegzukommen, an der warmen Frühlingsluft zu sein, die Zügel zu halten und mit dem kleinen Wagen die Seestraße entlangzufahren. Wir fuhren schweigend, denn unsere Sorge um Konrad begleitete uns auch hier.
Als wir bei der kleinen Kirche ankamen, sagte Elizabeth: »Du kannst mit reinkommen, wenn du magst.«
»Ich warte lieber hier draußen.«
»Du könntest eine Kerze für Konrad anzünden.«
»Du weißt doch, dass ich an solche Sachen nicht glaube.«
Sie nickte und blickte zu den anderen Gemeindemitgliedern, die mit ihren Familien die Kirche betraten. Zum ersten Mal kam es mir in den Sinn, dass sie sich in all den Jahren bei ihren Messebesuchen ziemlich einsam gefühlt haben musste.
»Ist Konrad mit dir reingegangen?«
»Zuerst nicht.«
Ich half ihr aus dem Wagen und sah ihr hinterher, als sie die Kirche betrat. Ich stellte mir vor, wie sie eine Kerze anzünden und beten würde – und beneidete sie.
»Was machst du da?«, fragte Ernest.
Es war Montagnachmittag und ich hatte fast den ganzen Tag in der Bibliothek mit den um mich verstreuten Büchern verbracht und mir wie ein Wilder Notizen gemacht.
»Ich versuche, etwas über den menschlichen Körper und seine Krankheiten zu lernen«, antwortete ich.
Mein neunjähriger Bruder kam näher und blickte ernst auf die Buchillustrationen hinab.
»Konrad wird doch wieder gesund, oder?«, fragte er.
Voller Scham machte ich mir bewusst, wie wenig ich an Ernest gedacht hatte und wie sehr die Krankheit seines älteren Bruders ihn berühren musste. William war noch viel zu klein, um etwas zu verstehen – und mir war es manchmal ein großer Trost, den kleinen Kerl einfach nur im Arm zu halten und mich in seiner Wärme, seinem Gelächter und seiner offensichtlich guten Stimmung zu verlieren. Aber mit neun musste Ernest, wie alle von uns, den bedrückenden Stimmungswechsel wahrnehmen, der unser Haus befallen hatte.
Ich legte meinen Stift hin und lächelte, wie es Vater tat, wenn er versuchte, uns zu beruhigen. »Natürlich wird er wieder gesund. Da bin ich mir ganz sicher. Er ist stark wie alle Frankensteins.«
Er deutete ernst auf das Buch, das ich in der Hand hielt. »Steht da drin, wie er geheilt wird?«
Ich lachte. »Ich weiß es nicht. Vielleicht.«
Er zeigte auf die Darstellung einer menschlichen Milz. »Was macht das da?«
»Es heißt, die Milz
Weitere Kostenlose Bücher