Düsteres Verlangen: Die wahre Geschichte des Victor Frankenstein (German Edition)
fährt Vater in die Stadt«, sagte ich. »Wir können mit ihm fahren und Polidori besuchen.«
»Wunderbar«, sagte Konrad. »Ich freue mich schon darauf, diesen Kerl kennenzulernen – und seinen Luchs.«
»Du kannst nicht mitkommen«, sagte ich.
Konrad lachte leise. »Warum denn nicht?«
»Polidori weiß nicht, wer wir sind«, erklärte ich. »Aber wenn er uns beide sieht, könnte er Verdacht schöpfen. Die meisten Leute in Genf wissen, dass Alphonse Frankenstein zwei Zwillingssöhne hat. Es ist ungewöhnlich.«
Konrad zuckte sorglos mit den Schultern. »Und was ist, wenn er Verdacht schöpft?«
Ärgerlich schüttelte ich den Kopf. »Konrad, hast du es vergessen? Es war unser Vater, der ihn vor Gericht gestellt hat. Der angeordnet hat, dass er sich nie wieder mit Alchemie befassen darf! Wenn Polidori weiß, wer wir sind, möchte er nichts mehr mit uns zu tun haben.«
»Auch wenn das so ist«, meinte mein Bruder nachdenklich, »sind wir eindeutig im Vorteil. Er weiß doch, dass wir ihn Vater melden können, wenn er sich weigert, uns zu helfen.«
»Ich glaube nicht, dass wir so ein Spiel spielen sollten«, antwortete ich.
»Victor hat recht«, warf Elizabeth ein und ich sah sie erfreut an. »Das sollten wir nicht riskieren, Konrad. Wir müssen unsere Identität geheim halten.«
Konrad schnaubte und wirkte so enttäuscht, dass er mir fast schon wieder leidtat.
»Es ist doch deinetwegen, du Hornochse«, sagte Elizabeth viel zärtlicher, als mir lieb war.
»Ja, das sehe ich schon ein«, gab Konrad nach. »Da blickt ihr wohl besser durch als ich. Danke, Victor.«
Ich gab keine Antwort. Ich konnte seinen Dank nicht mit reinem Gewissen annehmen, denn ich hatte einen anderen, selbstsüchtigen Grund dafür, ihn von Polidori fernzuhalten. Die Suche nach dem Elixier des Lebens war meine Idee gewesen. Ich hatte die Verantwortung und die wollte ich auch behalten. Wenn Konrad mit in Polidoris Labor käme, befürchtete ich, dass wir erkannt würden. Aber darüber hinaus befürchtete ich auch, dass er das Kommando über unser Vorhaben übernehmen würde. Mit seinem natürlichen Charme und seiner scharfsinnigen, ruhigen Intelligenz konnte das innerhalb von Sekunden passieren. Und darauf hatte ich keine Lust.
»Gut«, sagte ich, »dann gehen wir weiter so vor wie bisher.« Ich klopfte Konrad herzlich auf die Schulter. »Mach dir keine Gedanken. Für dich wird es noch jede Menge Abenteuer geben.«
Sie lieben sich.
Ich war mir noch nie so dumm vorgekommen – oder so verraten. Konrad und ich hatten nie Geheimnisse voreinander gehabt, aber das hier hatte er eigensüchtig für sich behalten. Und wie lange schon? Ich grübelte. Warum hatte er es mir nie gesagt? Und warum hatte ich es nicht bemerkt, wenn ich doch so oft genau wusste, was er dachte?
Es war, als wäre er von einem Augenblick zum anderen zum Fremden geworden.
Und ich selbst war mir fremd geworden.
Mein ganzes Leben lang hatte ich immer etwas gewollt: der Klügste zu sein, der Schnellste und der Stärkste. Ich hatte von Ruhm und Reichtum geträumt.
Doch als ich Elizabeths Gesicht sah, wusste ich plötzlich, dass es etwas gab, das ich noch mehr wollte.
Ich musste sie erst zusammen sehen, damit ich meine eigenen Gefühle verstand. Ein Blitzschlag hätte nicht plötzlicher kommen können. Zu sehen, wie Konrad sie berührte, war, als würde ich mich selbst dabei beobachten.
Im Sturmwald hatte ich versucht, meine Gefühle zu verdrängen, hatte mir eingeredet, sie seien nur eine Reaktion auf das Gemisch für die Augen.
Ich bin in Elizabeth verliebt.
8. Kapitel
Der Gnathostomatus
»Ich habe mich schon gefragt, was aus Ihnen geworden ist«, sagte Polidori am nächsten Morgen, während er uns in sein Empfangszimmer führte. »Ihr Bruder, wie geht es ihm?«
»Viel besser«, antwortete ich.
Ich selbst fühlte mich miserabel. Es hatte ewig gedauert, bis ich eingeschlafen war. Immer wieder drehte sich in meinem Kopf alles um Konrad, Elizabeth und das Klavier. Wie Konrad sie berührte. Das Feuer auf ihren Wangen. Als ich mich dann bei Tagesanbruch aus dem Bett schleppte, war ich wie zerschlagen.
»Das ist doch eine ausgezeichnete Nachricht, was Ihren Bruder betrifft«, sagte Polidori. Er drehte sich in seinem Rollstuhl um und lächelte. »Dann wollen Sie dieses Unternehmen sicher abbrechen?«
Sein Ausdruck war ruhig und geduldig, aber ich bemerkte, dass mich Krake ganz genau beobachtete.
»Nein«, antwortete Elizabeth. »Wir würden sehr gerne
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