Düstermühle: Ein Münsterland-Krimi (German Edition)
Schwiegertochter gewollt. Sie war die Tochter eines Schneiders und somit weit unter seinem Stand. Aber Rudolph hatte sich durchgesetzt. Doch jetzt war Rudolph tot, und Lisbeth brachte ein Mädchen auf den Hof.
»Alfons war inzwischen adoptiert worden«, sagte Carl. »Er war ein fleißiger und aufgeweckter Junge. John mochte ihn, das weiß ich noch. Und nachdem Otto ihn adoptiert hatte, gab es einen rechtmäßigen Hoferben. Mehr wollte John nicht wissen. Er wollte einfach einen aufgeweckten Jungen als Erben haben. Und kein elternloses Mädchen.«
Hätte man John gezwungen, wäre das Mädchen von ihm anerkannt worden, natürlich. Aber so war es ihm wohl lieber gewesen. Schließlich führte Otto nun den Hof, und Lisbeth war fort und hatte wieder geheiratet.
»Das Mädchen war Rudolphs einziges Kind«, sagte Carl. »Aber kaum ein Mensch wusste davon. Und man konnte es leicht vertuschen. Schließlich hatte Otto einflussreiche Freunde. Da war es nicht schwer, ein paar Urkunden zu fälschen.«
Für einen Moment vergaß Carl die Gefahr, in der er sich befand. Er begriff nun das Ausmaß des Geschehens.
»Wer ist das Mädchen? Lebt sie noch?«
»Es gibt kein Mädchen«, stellte Manfred fest. »Außer Mutter und mir weiß kein lebender Menschen davon. Es gibt auch keine Unterlagen.«
»Rosa wusste es ebenfalls. Sie war damals auf dem Hof, als das alles passierte. Sie und ihre Mutter kannten das Geheimnis. Und Rosa hat sich erinnert. Deshalb musste sie sterben.«
Manfreds Gesicht wurde zu einer Maske. Er schwieg. Sollte er die Tat bereuen, ließ er es sich nicht anmerken.
»Aber weshalb Alfons?«, fragte Carl. »Was hat dein Vater getan?«
»Du denkst, wir haben Alfons getötet?« Er lachte bitter. »Meinen Vater?«
Carl antwortete nicht. Manfreds Augen waren voller Hass.
»Das waren deine feinen Freunde, alter Mann. Sie haben meinen Vater getötet. Siegfried Wüllenhues wird es nicht allein gewesen sein, aber mit Sicherheit war er die treibende Kraft. Die Familie Wüllenhues hat uns schon immer unseren Besitz geneidet. Kleine Bauern, die nicht viel hervorbringen. Was soll man da erwarten?«
Carl war sprachlos. Er hatte fest geglaubt, die Morde wären von ein und demselben Täter begangen worden.
»Wenn sie Vater nicht getötet hätten, wäre das alles niemals ins Rollen gekommen«, sagte Manfred. »Durch seinen Tod sind die alten Geschichten wieder aufgewühlt worden. Plötzlich hieß es, der Mord hätte etwas mit früher zu tun. Rosa erinnerte sich, dass Alfons ein Foto aus ihrem Album genommen hatte. Später wurde auch noch ihr Album gestohlen. Alle interessierten sich plötzlich für die Vergangenheit. Und mehr und mehr drohte unser Geheimnis um den Hoferben aufgedeckt zu werden. Das hat uns zum Handeln gezwungen. Wir mussten etwas tun, um dem ein Ende zu bereiten.«
Rosa hatte sich erinnert. Es ging hier gar nicht um Alfons. Etwas ganz anderes war ans Licht gezerrt worden. Und Rosa hatte sich an das Schicksal des sechsten Kindes auf dem Hof erinnert. Deshalb musste sie sterben.
»Jetzt bist du der Einzige, Carl, der noch übrig ist«, sagte Manfred mit einem bösen Lächeln. »Deine Neugierde hat dich hergeführt. Und was glaubst du, was jetzt passiert? Ich werde dich sicher nicht gehen lassen.«
Carl dachte an das Handy in seiner Tasche. Doch es war zwecklos. Plötzlich ging ihm ein Licht auf. »Das stimmt nicht«, rief er. »Ich bin nicht der Einzige von damals. Es gibt noch jemanden, der davon weiß. Ilse! Sie war damals als Magd auf dem Hof, und noch heute spricht sie von einem Kind, das versteckt werden muss. Und von Rudolph, der im Krieg gefallen ist. Sag schon, was hat Ilse damit zu tun?«
Manfred schien amüsiert. »Du bist doch so klug, alter Mann. Sicher fällt dir auch hier die Antwort ein.«
»Sie kannte die Magd, der das Kind untergeschoben worden war. Aus der Zeit, in der sie auf dem Hof gearbeitet hat.«
»Siehst du. Nur weiter so. Du kommst noch drauf.«
»Das Kind ist schließlich vom Hof verschwunden. Aber ich verstehe nicht, weshalb. Das muss zum Kriegsende gewesen sein. Die Alliierten besetzten das Münsterland, und Otto musste für eine Weile untertauchen, aus Angst vor der Rache seiner Zwangsarbeiter. Die Kinder waren auf dem Hof, als die Russen zurückkehrten, um Vergeltung zu üben. Aber ihnen ist nichts passiert, sie wurden verschont. Oder irre ich mich?«
»Nein«, sagte Manfred genüsslich. »Bis hier ist alles richtig.«
Carl verstand plötzlich. »Aber die Magd wollte so
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