Düstermühle: Ein Münsterland-Krimi (German Edition)
Wir würden gern noch einmal mit Ihrer Tochter sprechen.«
Der alte Mann bedachte sie mit einem finsteren Blick. Ihr Auftauchen schien ihm nicht zu gefallen. Dennoch nickte er und trat beiseite.
»Sie ist in der Küche. Kommen Sie.«
Die beiden folgten ihm durch das düstere Bauernhaus. Helga Schulte-Stein saß in ihrem Rollstuhl am Tisch über ein Rätselheft gebeugt. Sie blickte auf und blinzelte sie missmutig an. Sonderlich erfreut schien auch sie nicht über den Besuch zu sein, bot allerdings höflich Kaffee und Gebäck an. Die beiden Kommissare lehnten dankend ab und setzten sich.
»Wir möchten noch mal mit Ihnen über die Geschehnisse von gestern reden«, begann Gratczek. »Nun hatten Sie Gelegenheit, das Ganze ein bisschen sacken zu lassen. Da würde mich interessieren, ob Ihnen noch etwas eingefallen ist, was Sie Ihrer gestrigen Aussage hinzufügen möchten. Jetzt, nachdem der erste Schock vorüber ist. Ganz egal, was.«
»Nein. Ich habe alles gesagt, was ich weiß. Der Täter war doch Siegfried Wüllenhues, oder etwa nicht?«
»Zumindest sieht es danach aus. Sie haben gesagt, die Fehde zwischen Ihren Familien gehe auf einen Streit in der Nazizeit zurück.«
»Richtig. Aber ich fürchte, viel mehr als gestern kann ich Ihnen auch heute dazu nicht sagen.«
»Und was ist mit Ihnen, Herr Holtkamp? Können Sie uns sagen, was genau damals war?«
»Ich bin Jahrgang 1929. Also war ich noch ein Kind, als das Ganze passiert ist. Die Eltern haben mit uns nicht darüber gesprochen. Und nach dem Krieg wurde das Thema gemieden.«
»Und Sie, Frau Schulte-Stein?«, wandte er sich wieder an die Frau im Rollstuhl. »Woher kannten Sie denn die Geschichte? Hat Ihr Exmann Ihnen davon erzählt?«
»Nein, das war sein Vater, Otto Schulte-Stein. Als der noch lebte. Mein Schwiegervater hat eigentlich nie über den Krieg geredet, bis auf das eine Mal, da hat er so eine Bemerkung fallen lassen. Ich glaube, sein Handeln hat ihm später leidgetan.«
»Das wäre verständlich. Otto Schulte-Stein hat Wüllenhues denunziert. Eine üble Sache war das. Glauben Sie, Ihr Schwiegervater hat damals eine Gelegenheit gesehen, Wüllenhues eins auszuwischen? Die Familienfehde ging da ja bereits seit Generationen.«
»Die Leute dachten zwar, er hätte es wegen der Familienfehde getan, aber ich glaube, das ist falsch. Er hat es aus Überzeugung getan. Er hat an Hitler geglaubt, wissen Sie. Damals konnte ja keiner wissen, wie das enden würde. Er hat es getan, um Wüllenhues mundtot zu machen. Um ein Exempel zu statuieren.«
»Und was hat Ihr Exmann dazu gesagt? Dass sein Vater damals einen Nachbarn ins KZ gebracht hatte?«
»Darüber wurde ja nie geredet. Keiner aus der Generation hat über die Zeit geredet. Meine Eltern nicht, und die meines Mannes genauso wenig. Auch der alte Wüllenhues nicht.«
Gratczek wechselte das Thema. »Sie sagten, Sie und Ihr Exmann hätten sich auseinandergelebt?«
»Ja, das ist richtig.«
»War das der Grund für die Scheidung?«
Sie nickte.
»Uns ist da etwas anderes zu Ohren gekommen«, sagte Gratczek freundlich. »Was den Grund Ihrer Trennung angeht.«
Ihr Gesicht verhärtete sich. »Schon möglich. Das geht Sie aber nichts an.«
»Ihr Exmann ist ermordet worden.«
»Ja, und zwar von Siegfried Wüllenhues. Was hat das mit unserer Ehe zu tun?«
Jetzt mischte sich ihr Vater ein. »Meine Tochter ist krank. Sie dürfen ihr nicht zu viel zumuten.«
»Hier ist ein Mord passiert«, ging Keller dazwischen. »Da müssen wir doch wohl ein paar Fragen stellen dürfen!«
»Schon gut, Vater. Mir geht es gut.«
Es war das erste Mal, dass Keller sich in die Befragung gemischt hatte. Ansonsten saß er einfach da und beobachtete. Damit hatte Gratczek nicht gerechnet. Er wandte sich wieder an Frau Schulte-Stein.
»Was ist denn passiert?«
»Sie wissen es doch schon.«
Er wartete. Eine Weile betrachtete sie das aufgeschlagene Rätselheft. Dann begann sie zu reden.
»Er hat mich vor die Tür gesetzt. Auf dem Hof gibt es viel Arbeit, da müssen alle mit anpacken. Das war schon zu Alfons’ Kindheit so. Da hat es immer geheißen: Wer nicht arbeitet, der kriegt auch nichts zu essen. Als ich die Diagnose multiple Sklerose bekam, meinte Alfons: Eine Invalide können wir nicht gebrauchen. Also musste ich meine Sachen packen.«
»Er war ein Unmensch!«, ereiferte sich ihr Vater. »Wer tut denn so was? Eine kranke Frau vor die Tür setzen! In guten wie in schlechten Zeiten, heißt es. So verhält sich kein
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