Düstermühle: Ein Münsterland-Krimi (German Edition)
Christenmensch.«
»Schon gut, Vater.« Sie schenkte ihm ein liebevolles Lächeln, und er fiel wieder in Schweigen.
»Alfons war sehr pragmatisch«, sagte sie zu Gratczek. »Für ihn gab es den Hof und die viele Arbeit, die erledigt werden musste. Er konnte sich eben nicht vorstellen, wie ein kranker Mensch da reinpassen sollte. Einer, der vielleicht irgendwann sogar gepflegt werden muss. Schon gar nicht, wenn dieser Mensch die Ehefrau war, die doch die Last der Arbeit zu gleichen Teilen mit ihm tragen sollte. Natürlich hat mich das damals tief verletzt. Im Grunde hat es mich aber auch nicht überrascht. So war eben unsere Ehe. Viele Gefühle hatte es nie gegeben. Es ging darum, den Hof gemeinsam zu bewirtschaften. Und ich habe meine Aufgabe stets erfüllt. Ich war ihm eine gute Frau. Bis zu dieser Krankheit.«
»Dann konnten Sie nach all den Jahren also keine Dankbarkeit erwarten?«
»Nein.« Sie blickte Gratczek fest in die Augen. »So. Jetzt wissen Sie es. Das dürfte in etwa das sein, was die Leute sich erzählen.«
»Was ist mit Ihrem Sohn?«, fragte er. »Ich habe gehört, er hat den Hof übernommen und lebt dort mit seiner Familie.«
»Das ist richtig.«
»Dann hat er damals nicht für Sie Partei ergriffen?«
»Aber doch. Als ich hierher zu meinem Vater gezogen bin, hat mein Sohn Manfred ebenfalls den Hof verlassen. Er und sein Vater hatten sich furchtbar gestritten meinetwegen. Manfred ist ein guter Junge. Er wollte seiner Mutter beistehen. Also ist er weggegangen, hat in Düstermühle gewohnt und als Lkw-Fahrer gearbeitet. Und Alfons musste sehen, wie er den Hof mit Betriebshelfern führte. Als Lkw-Fahrer ließ sich zwar nicht viel Geld verdienen, aber für Manfred hat es gereicht. Er hat seine spätere Frau Susanne kennengelernt, kurz darauf wurden sie Eltern. Sie haben sich in ihrem bescheidenen Leben gut eingerichtet.«
»Und was ist dann passiert?«
»Mein Sohn ist Landwirt, kein Fernfahrer. Das war doch Unsinn, den Hof nicht zu übernehmen. Alles nur meinetwegen. Ich habe mit Manfred gesprochen, immer wieder. Schließlich ist er zu Alfons gegangen, und die beiden haben sich versöhnt. Alfons konnte ja gar nicht anders. Er wurde alt, und es war sonst kein Hoferbe in Sicht. Er brauchte Manfred.«
»Hatten Sie später wieder Kontakt zu Ihrem Exmann?«
»Nein. Ich bin in den letzten Jahren zwei- oder dreimal auf dem Hof gewesen, aber immer nur, wenn Alfons nicht dort war. Mein Sohn besucht mich häufig, und ich habe ein gutes Verhältnis zu seiner Frau Susanne. Aber Alfons und ich haben seit unserer Scheidung nicht mehr miteinander gesprochen.« Sie sah müde aus. »Reicht das fürs Erste? Ich fühle mich nicht besonders gut. Ich würde mich gern ausruhen.«
»Natürlich ruhst du dich aus«, sagte ihr Vater und löste die Bremse des Rollstuhls. »Ich fahre dich nach nebenan.«
Er schob den Rollstuhl aus dem Raum. Gratczek und Keller wechselten einen Blick. Offenbar dachten sie das Gleiche. Denn als der alte Mann in die Küche zurückkehrte, räusperte sich Keller vernehmlich.
»Dann können wir ja jetzt mit Ihnen weitermachen«, sagte er. Und es klang eher nach einer Drohung als nach einem Vorschlag.
5
Draußen empfing sie die kalte Wintersonne. Gratczek blinzelte gegen das Licht. Er schloss die Autotür des Dienstwagens auf. Erst da bemerkte er, dass Keller ihm nicht gefolgt war. Er stand am Wiesenzaum und sah zu der Ruine hinüber.
»Lass uns doch zu Fuß gehen«, sagte er und deutete auf den Feldweg, der zum Anwesen der Schulte-Steins führte. »Das geht viel schneller, als wenn wir mit dem Auto außen herumfahren.«
Gratczek zögerte, denn eigentlich wäre er lieber gefahren. Schließlich meinte er: »Also gut. Wenn du meinst.«
Keller zog eine zerknitterte Zigarettenschachtel hervor. Gratczek lächelte. Deshalb wollte er also zu Fuß gehen. Aber er vermied jeden Kommentar, schließlich war Keller ihm während der Befragungen nicht in die Parade gefahren. Sollte er doch in Ruhe eine rauchen.
Gratczek stieg über eine Pfütze und trat vorsichtig auf die Grasnarbe in der Mitte des Feldwegs. So lange er auf dem Gras blieb, konnte ja nichts passieren.
»Der Vater kommt durchaus infrage«, meinte Keller und blies Rauch in die Luft. »Ein Motiv hat er. Und sein Alibi ist nichts wert.«
Er hatte gesagt, er sei in der Küche gewesen, als die Werkstatt in Flammen aufging. Dort habe er das Frühstück für seine Tochter zubereitet, die morgens wegen ihrer Krankheit sehr lange fürs
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