Düstermühle: Ein Münsterland-Krimi (German Edition)
inneren Auge warf sie ihr blondes Haar in den Nacken.
»Wenn ich das verneine, würde es wohl nicht für mich sprechen.«
»Verzeihung. Was ist die Todesursache?«
»Ersticken. Alfons Schulte-Stein ist erwürgt worden.«
»Erwürgt?« Das war nun wirklich nicht das, womit er gerechnet hatte.
»Ja, aber das ist nicht alles. Zunächst haben wir einen Schädelbruch. Einwirkung mit stumpfer Gewalt. Aber nicht tödlich, und Schulte-Stein muss danach noch handlungsfähig gewesen sein. Es hat offenbar einen Kampf gegeben, darauf deuten zahlreiche Kampfspuren an Armen und Oberkörper hin. Er wird sich nach Kräften gewehrt haben. Und schließlich wurde er erwürgt. Zungenbeinbruch, Stauungsblutungen im Kopf, ausgeprägte Würgemale, alles, was dazugehört. Das bedeutet, der andere, den ich hier habe …« Sie blätterte in ihren Unterlagen. »… Siegfried Wüllenhues, genau. Na, der kommt als Täter wohl nicht infrage.«
»Wieso denn nicht?«
»Wüllenhues litt unter starkem Rheuma, das steht in seiner Krankenakte. Alfons Schulte-Stein dagegen war gesund und kräftig, trotz seines Alters. Kaum vorstellbar, dass Wüllenhues ihm solche Verletzungen zugefügt haben soll. Dazu kommt, dass zumindest bei oberflächlicher Betrachtung keine Kampf- oder Abwehrspuren an der Leiche von Wüllenhues zu finden sind, aber das sehe ich mir gleich näher an.«
Hambrock spürte die Last, die auf seine Schultern gelegt wurde. Also war es vorbei mit dem einfachen Fall, bei dem alles schon offensichtlich auf dem Tisch lag.
Dr. Brüggen deutete sein Schweigen richtig.
»Tut mir leid, wenn ich Ihnen damit den Tag verdorben habe«, sagte sie.
»Nein, nein. Schon gut. Konnten Sie den Todeszeitpunkt bestimmen?«
»Ja. Er ist in der Nacht ermordet worden, zwischen zwölf und halb eins.«
»Also nicht erst am Morgen. Gut zu wissen. Vielen Dank für den Anruf.«
»Ich melde mich noch mal, wenn ich mit dem anderen durch bin. Die Berichte kommen dann später.«
Nachdem er aufgelegt hatte, saß er allein an seinem Schreibtisch. Auf dem Flur war nichts mehr zu hören. Alle waren unterwegs. Siegfried Wüllenhues war also aller Wahrscheinlichkeit nach nicht der Täter. Und es hatte in der vergangenen Nacht wieder gebrannt in Düstermühle.
Eine Weile saß er da und starrte im grauen Zwielicht vor sich hin. Dann beugte er sich vor und knipste die Schreibtischlampe an.
Die Ruine der alten Schmiede war von der Straße aus nicht zu sehen. Nur das Wohnhaus und die große Scheune mit dem Uhrenturm.
Renate Wüllenhues stand mit dem Wagen am Straßenrand und blickte zum Anwesen der Schulte-Steins hinauf. Sie fühlte sich wie in Watte. Alles war taub. Sie wusste, ihr Mann war tot. Irgendwie wusste sie das. Trotzdem. Es war, als ob sie schwebte. Unter ihr war ein tiefer dunkler Abgrund. Sie hatte Angst davor, hineinzublicken.
Lieber sah sie zum Hof der Schulte-Steins. Alfons. Ihr Mann war nie weggegangen, ohne etwas zu sagen. Und wenn doch, hatte er ihr immer einen Zettel hingelegt. Warum hatte er diesmal nicht mit ihr gesprochen? Was hatte er dort oben gewollt, bei Alfons? Er hätte ihr doch davon erzählt, wenn er so etwas geplant hätte. Bestimmt hätte er das. Hier stimmte etwas nicht.
Außerdem war der Streit zwischen den Familien im Grunde begraben gewesen, trotz aller Scharmützel. »Was bringt es, wenn wir unseren Groll mit uns herumschleppen?«, hatte Siegfried immer gesagt. »Wir vergiften nur unser Leben. Keinem ist damit geholfen.«
Ja, das konnte er gut. Allgemeine Weisheiten von sich geben. Wie ein chinesischer Glückskeks. Dafür war er immer zu haben. Niemals hingegen sprach er von sich selbst oder davon, wie er zu diesen Erkenntnissen gekommen war.
Fünfundvierzig Jahre bin ich jetzt mit ihm verheiratet, dachte sie, und trotzdem ist da diese Distanz zwischen uns. Wir lieben uns, da gibt es keinen Zweifel, aber manchmal ist es, als wäre er Lichtjahre entfernt. Unerreichbar für einen anderen Menschen.
War, korrigierte sie sich. Ich war mit ihm verheiratet.
Sie spürte den Abgrund unter sich. Die bodenlose Leere.
Einkaufen. Sie wollte doch einkaufen fahren. Im Supermarkt waren Orangen im Angebot. Und wenn sie ohnehin in Düstermühle war, konnte sie gleich beim Metzger vorbeischauen.
Später. Sie würde später über diese Fragen nachdenken. Nicht jetzt. Sie achtete nicht weiter auf die Gebäude an der Anhöhe, sondern startete den Motor, warf einen Blick in den Rückspiegel und fuhr davon.
Rosa Deutschmann manövrierte den
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