Düstermühle: Ein Münsterland-Krimi (German Edition)
anwesend zu sein. Sie spürte, wie Tränen an ihrer Wange herunterliefen. Es half alles nichts. Sie erreichte ihn nicht, genauso wenig, wie sie Siegfried je erreicht hatte.
Ihre Stimme war nur noch ein Flüstern, als sie sagte: »Ich muss das wissen.«
Heinz Moorkamp hockte allein in der Schankwirtschaft. Er saß an einem Tisch am Fenster und starrte unruhig vor sich hin. Die Dinge liefen nicht wie geplant. Alles wurde komplizierter. Er verstand nicht, weshalb.
Sein Handy, das vor ihm auf der Tischplatte lag, machte sich durch Vibrieren bemerkbar. Ein Anruf. Heinz Moorkamp überzeugte sich mit einem Schulterblick, dass er wirklich allein im Schankraum war. Dann ging er ran.
»Ich bin es«, sagte die Stimme am anderen Ende. »Tut mir leid, dass es so lange gedauert hat. Ich konnte nicht eher anrufen.«
»Schon gut. Hast du das Fotoalbum?«
»Ja.«
Heinz Moorkamp atmete erleichtert auf.
»Und?«, fragte er. »Ist darin etwas zu sehen?«
»Nein, gar nichts. Wenn es ein Foto gab, das alles beweisen würde, dann war es nicht mehr dabei.«
»Alfons hat ein Foto mitgenommen, heißt es.«
»Ja, so heißt es.«
Sie fielen in Schweigen. Schließlich fragte Heinz Moorkamp: »Und was sollen wir jetzt tun?«
»Ich weiß es nicht.«
»Glaubst du, Rosa weiß etwas?«
Wieder Schweigen. Es dauerte ewig, bis die Stimme sich erneut meldete: »Ich weiß es nicht.«
9
Henrik Keller sah aus, als hätte er die Nacht durchgesoffen. Unter den Augen hatte er tiefe Ringe, und seine Haut wirkte ungewöhnlich blass. Aber bei dem wusste man ja nie, dachte Hambrock, vielleicht sah er immer so aus, wenn er schlecht gelaunt war oder zu viel geraucht hatte.
Hambrock warf einen schnellen Blick in die Fensterscheibe. Draußen war es noch dunkel, und im Licht der Leuchtstoffröhren konnte er sein Spiegelbild deutlich erkennen. Er wirkte ausgeruht. Kein Mensch würde ihm anmerken, dass er in der letzten Nacht kaum geschlafen hatte. Er hätte sich gerne volllaufen lassen, nach allen Regeln der Kunst, aber stattdessen hatte er die ganze Nacht nur im Bett gelegen und die Decke angestarrt.
»Also gut, fangen wir an.«
Er richtete den Blick auf die Kollegen, die ihm gegenübersaßen. Henrik Keller und Guido Gratczek.
»Wie gehen wir vor? Siegfried Wüllenhues ist nicht der Täter, das ist jetzt sicher. Weder gibt es Kampfspuren auf seinem Körper, noch wäre er gesundheitlich überhaupt in der Lage gewesen, Alfons Schulte-Stein zu überwältigen. Trotzdem war er am Tatort. Er muss einen guten Grund gehabt haben, die alte Schmiede anzuzünden. Wir können nur mutmaßen. Vielleicht wollte er die Spuren des Täters vernichten und ihn damit decken. Was auch immer. Jedenfalls ist eines jetzt klar: Das Spiel ist wieder offen.« Er lehnte sich zurück. »Irgendwelche Ideen?«
Keller rieb sich die geröteten Augen. »Nun ja«, sagte er. »Die Familie Schulte-Stein bringt genügend Tatverdächtige hervor, wenn du mich fragst. Da haben doch fast alle ein Motiv.«
Gratczek, der auf dem Stuhl neben ihm saß, rückte beinahe unmerklich ein Stück von Keller ab. Er nahm eine aufrechte, würdevolle Haltung ein und faltete die Hände. Hambrock kannte diese Geste nur zu gut. So reagierte Gratczek immer, wenn sie in die verwahrloste Wohnung eines krepierten Alkoholikers eindrangen. Dann zog er den edlen Stoff seines Jacketts glatt und legte eine vornehme Miene auf. Als könne er sich so einen Schutzschild gegen den Dreck und das Grauen zulegen.
»Ich für meinen Teil«, fuhr Keller hustend fort, »denke jedenfalls, es war einer der Schulte-Steins. Vielleicht ja sogar die Exfrau, das wäre mein erster Tipp.«
»Helga Schulte-Stein?« Gratczek rückte weiter ab. »Du meinst, sie hat ihn mit dem Luftschlauch aus ihrem Rollstuhl erdrosselt?«
»Er ist erwürgt worden, nicht erdrosselt. Und natürlich war sie es auch nicht selbst. Ihr Sohn könnte das für sie erledigt haben.«
»Manfred Schulte-Stein soll seinen eigenen Vater ermordet haben?«
Gratczeks Tonfall ließ erkennen, was er von dieser Hypothese hielt. Keller schien jedoch unbeeindruckt. Er redete einfach weiter.
»Manfred und seine Mutter haben eine enge Bindung. Durch den Tod von Alfons kann die Familie jetzt wieder zusammenleben. Sie haben den Hof für sich allein, und kein Tyrann ist mehr da, der ihnen überall reinredet. Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Sohn seinen Vater tötet, um die Erbfolge vorzeitig umzusetzen.«
Hambrock wollte darüber nachdenken. Ein Gefühl dazu
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