Düstermühle: Ein Münsterland-Krimi (German Edition)
Vaters, der neben dem Eingang stand –, und dann schlagen Sie ihn nieder. Mit einem einzigen kräftigen Schlag. Doch Ihr Vater war schon immer ein zäher Bursche. Auch dieser Schlag haut ihn nicht völlig um. Es kommt zum Kampf, Ihr Vater wehrt sich nach Leibeskräften, doch schließlich umfassen Sie seine Kehle. Sie drücken zu, so lange, bis seine Kräfte nachlassen, er zu zucken beginnt und dann – endlich – reglos liegen bleibt. Es war nicht leicht, und es hat Sie eine Menge Kraft gekostet, doch Sie haben es zu Ende gebracht. Das haben Sie doch, Herr Schulte-Stein, nicht
wahr?«
Hambrock fixierte Schulte-Steins Gesichtszüge, doch er konnte nur eines darin erkennen: Bestürzung.
»Er war mein Vater! Ich habe ihn geliebt.«
»So wie Sie Ihre Mutter geliebt haben?«, fragte Keller.
Manfred Schulte-Stein blickte irritiert.
»Ganz richtig«, meinte Keller. »Ich meine Ihre Mutter, die von Ihrem Vater zum Teufel gejagt wurde, nachdem sie krank geworden war. Und die Sie seitdem kaum noch zu Gesicht bekommen haben.«
»Aber … darüber haben wir längst gesprochen. Mein Vater und ich, wir haben uns versöhnt. Meine Mutter wollte es so. Ihre Scheidung war durch mich nicht rückgängig zu machen, damit musste ich leben.«
»Aber dann wird ihre Krankheit immer schlimmer. Ihre Mutter wird zunehmend hilflos. Und der Einzige, den sie hat, ist Ihr Großvater. Der ist jetzt wie alt? Einundachtzig? Zweiundachtzig? Wenn man sich die beiden ansieht, kann man schon auf die Idee kommen zu fragen, wer eigentlich bei wem die Bettpfanne leert.«
Manfred Schulte-Stein sah gequält aus, doch Keller fuhr fort: »Und das ist längst nicht das Ende der Fahnenstange. Mit Ihrer Mutter wird es weiter bergab gehen. Und Sie können sie nicht bei sich aufnehmen, weil Ihr Vater sich querstellt. Soll sie etwa in ein Pflegeheim kommen? Das wäre doch für Sie, als würde sie abgeschoben werden.« Er machte eine Pause. »Nun ja. Aber diese Frage stellt sich jetzt nicht mehr. Ihr Vater ist tot. Alle Hindernisse sind aus dem Weg geräumt.«
»Was tun Sie mir nur an?«, flüsterte Manfred Schulte-Stein. »Machen Sie das mit allen Angehörigen von Mordopfern so? Natürlich müssen Sie so etwas in Betracht ziehen, das kann ich ja nachvollziehen. Aber … verstehen Sie denn nicht? Er war mein Vater. Er war trotz allem meine Familie. So etwas wirft man doch nicht weg. Wissen Sie denn nicht, was das ist: eine Familie? Und haben Sie gar keine Ahnung, wie es sich anfühlt, ein Familienmitglied zu verlieren?«
Jetzt blickte er Hambrock, dem das Herz gefror, direkt ins Gesicht. Er dachte an Birgit und an das, was gestern im Krankenhaus gewesen war. Nachdem seine Mutter angerufen hatte, um ihn zu sagen, dass Birgits Fieber zurückgekehrt war. Er hatte sich sofort auf den Weg gemacht, ihm war ja gar nichts anderes übrig geblieben. Gerade noch hatte alles so ausgesehen, als würde sie wieder gesund, und dann so etwas. Seine Mutter hatte im Aufenthaltsraum der Station vor ihm gestanden und ihn angebrüllt: »Sie stirbt! Sie stirbt!« Und sein Vater, der doch eigentlich seine Frau hätte trösten müssen, war einfach auf seinem Stuhl sitzen geblieben, den Blick starr zu Boden gerichtet, und hatte die Schreie ignoriert. Es war gespenstisch gewesen, und Hambrock hatte überhaupt nicht gewusst, wie er mit alldem umgehen sollte.
»Mein Vater war ein schwieriger Mensch«, sagte Manfred Schulte-Stein. »Ihm fehlte das Offene und das Herzliche anderen Menschen gegenüber. Doch die Leute urteilen zu schnell. Bestimmt spielt da auch Neid eine Rolle. Mein Vater war nicht nur schlecht. Er hatte auch viele gute Eigenschaften. Und ich habe ihn geliebt. Ich war sein Sohn.«
Wieder blickte er Hambrock direkt ins Gesicht. Hatte er das Gefühl, er würde ihn im Gegensatz zu Keller verstehen? War es so leicht, in seinem Gesicht zu lesen?
»So ist das doch in Familien«, sagte Schulte-Stein. »Man liebt sich trotz allem, egal wie sehr die anderen einen nerven.«
Hambrock schob die Bilder aus dem Krankenhaus beiseite.
»Die meisten Morde geschehen im familiären Umfeld«, sagte er. »Sich zu lieben reicht nicht immer aus. Liebe und Hass liegen nah beieinander. Gerade in Familien ereignen sich eine Menge Gewalttaten.«
»Sie haben Ihrer Mutter bereits angeboten, zu ihr auf den Hof zu ziehen«, mischte Keller sich ein. »Sie selbst hat uns das gesagt. Und dabei ist noch keine Woche seit dem Tod Ihres Vaters vergangen.«
Manfred Schulte-Stein schüttelte
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