Düstermühle: Ein Münsterland-Krimi (German Edition)
den Weg laufen. Und dann? Wie sollte sie dem Sohn des Mannes gegenübertreten, den Siegfried offenbar ermordet hatte? Das war doch eine unmögliche Situation. Sollte sie lieber wegziehen?
Draußen war plötzlich helles Licht. Autoscheinwerfer, deren Lichtkegel über den Hof und dann durchs Küchenfenster fielen. Sie blendeten Renate, die sich die Hand vor Augen hielt, und erloschen schließlich. Ein Wagen parkte neben der Tennentür.
Es war Bodo, ihr Sohn. Er ging über die Tenne und durch die Waschküche ins Haus. Als er in die Diele trat, rief er: »Mutter? Bist du da?«, und warf die Tür hinter sich ins Schloss.
»Ich bin hier, in der Küche!«
Im nächsten Moment tauchte er in der Tür auf. Hochgewachsen, breitschultrig und mit scharfen Wangenknochen. Er sah aus wie Siegfried damals, als junger Mann.
Ihr Sohn sagte nichts. Stand einfach da und blickte sie an. Aber das war typisch für ihn. Er war genauso verschlossen wie sein Vater. Das hatte er von ihm geerbt.
»Schön, dass du da bist, Bodo. Hast du Hunger?«
»Nein.« Er setzte sich an den Tisch. Ohne sie in den Arm zu nehmen. »Wir müssen über die Beerdigung reden.«
Renate spürte einen Stich. Sie blickte sich um. Lieber würde sie weiter putzen. Doch das war natürlich Unsinn. Sie trocknete sich die Hände an einem Geschirrtuch und setzte sich ebenfalls.
»Ich habe das meiste schon geregelt«, sagte Bodo. »Das Beerdigungsinstitut übernimmt eine Menge Arbeit. Pfarrer Rodering wird die Zeremonie abhalten, das war ihm ein Herzenswunsch. Du weißt, er und Vater haben sich sehr gemocht.«
Renate nickte nur. Sie war froh, dass Bodo diese Dinge regelte. Sie fühlte sich nicht in der Lage dazu.
»Dann habe ich mit den Moorkamps gesprochen, wegen der Trauerfeier. Wir können den Festsaal der Wirtschaft mieten. Sie haben uns einen sehr guten Preis gemacht. Es gibt Kaffee und Kuchen. Inge Moorkamp wird außerdem Schnittchen schmieren.«
Bodo erklärte ihr, wie alles ablaufen würde. Über so etwas zu sprechen, das fiel ihm leicht. Doch je länger er redete, umso schwerer wog das, was nicht gesagt wurde. Dabei war sich Renate sicher, dass auch Bodo sich fragte, warum sein Vater zu Alfons gegangen war und wieso er seine Schmiede angesteckt hatte. Ausgerechnet Siegfried. Er hasste das Feuer, das war schon immer so gewesen. Nicht einmal einen Grill wollte er im Garten haben. Und ausgerechnet er soll nun ein Brandstifter sein? Was war denn nur passiert?
»Ich habe heute Manfred getroffen, im Supermarkt.«
Bodo wirkte erschrocken. »Was hat er gesagt?« Da sie nicht sofort antwortete, wurde er laut: »Was hat er getan? Hat er dich beschimpft? Oder Schlimmeres?«
»Nein. Er hat mich gar nicht gesehen. Aber ich kann ihm nicht ewig aus dem Weg gehen. Wir müssen uns überlegen, wie wir mit der Geschichte leben.«
»Bringen wir zuerst die Beerdigung hinter uns. Schritt für Schritt, alles der Reihe nach.«
Doch Renate wollte sich nicht vom Thema abbringen lassen. Sie brauchte Antworten. Morgen war sie wieder allein.
»Wir müssen die Frage klären, ob der Sarg offen oder geschlossen sein soll«, sagte Bodo.
Renates Herzschlag setzte aus: Der Sarg. Sie sah Siegfried in einem Sarg liegen. Ihr Ehemann, mit dem sie den Großteil ihres Lebens Seite an Seite gelebt hatte.
Bodo deutete ihr Schweigen falsch. »Ein offener Sarg ist möglich, trotz der Obduktion. Das haben mir alle gesagt. Man wird nichts davon sehen, wenn er in der Kapelle liegt.«
Alles andere löste sich auf einmal in Luft auf. Siegfried. Mein Siegfried. Ein Leichnam in einer Kapelle. Das war doch unvorstellbar.
Ihr wurde schwindelig. Sie musste sich zusammenreißen. Wenn sie jetzt den Boden unter den Füßen verlöre, würde sie nicht mehr aufstehen können. Dann würde sie in den Abgrund stürzen, der dort auf sie lauerte. Sie musste stark sein.
»Was ist da passiert, Bodo? Bei Schulte-Stein in der alten Schmiede. Weshalb war dein Vater dort? Glaubst du denn, er hat Alfons umgebracht? Und dann die Sache mit dem Feuer. Das passt doch gar nicht zu Siegfried. Er wollte nie in der Nähe von Feuer sein.«
Bodo schwieg. Sein Blick wurde wieder undurchdringlich. Es war, als redete sie mit der Wand.
»Hat Papa dir denn nichts gesagt?«
»Nein.«
»Irgendwas muss er erzählt haben. Das passt doch alles gar nicht zu ihm. Er hat immer gesagt, wohin er gehen will. Was er vorhat.«
Bodo schwieg, wie immer.
»Ich muss das wissen, Bodo.«
Jetzt war er ganz weit weg. Nur sein Körper schien noch
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