Düstermühle: Ein Münsterland-Krimi (German Edition)
aufeinander angewiesen wie früher. Früher fand das Leben im Dorf statt. Wer fuhr da schon nach Münster? Das war doch eine Weltreise. Die Menschen bildeten eine Gemeinschaft. Das mussten sie auch. Es ging um Erntehilfe, um Nachbarschaft und ums gemeinsame Überleben. Da hockten sich die Leute noch viel mehr auf der Pelle als heute. Die Vorteile waren, dass es noch Nachbarschaftshilfe gab und die Leute füreinander einstanden. Der Nachteil war, dass man sich nicht aus dem Weg gehen konnte. Man musste auf Gedeih und Verderb miteinander auskommen.«
»Und was war mit der Familie Schulte-Stein?«
»Das waren die reichen Schulzenbauern. Früher waren die Unterschiede zwischen den Klassen viel größer. Das hat sich erst in den Siebzigern geändert. Schulte-Steins waren reich und mächtig. Und Otto Schulte-Stein, der alte Patriarch, war kein guter Christenmensch. Er hat die Macht für seine Vorteile missbraucht. Besonders während des Kriegs. Als Bürgermeister konnte er schalten und walten, wie er wollte. Also mussten nicht seine Pferde in den Krieg, sondern nur die Pferde der kleinen Bauern. Ein anderes Beispiel: Damit sein Neffe nicht eingezogen wurde, hatte er ihm kriegswichtige Arbeit in der Molkerei besorgt, und der kleine Kötter-Bauer, der diese Arbeit eigentlich gemacht hatte, wurde dann statt seiner eingezogen. Der ist später gefallen, in Stalingrad. Aber so war das früher. Gegen den mächtigen Schulte-Stein konnte sich keiner wehren.«
Carl Beeke bemerkte Hambrocks Gesichtsausdruck.
»Nein, nein, Herr Hambrock.« Er lachte. »Das wird Sie nicht weiterbringen. Alle, die damals unter Schulte-Stein zu leiden hatten, sind längst tot. Keiner davon kommt infrage. Der Einzige, der noch lebte, war Siegfried Wüllenhues.«
»Was war nach dem Krieg? Wie ging es weiter?«
»Nach dem Krieg war Otto Schulte-Stein natürlich kein besserer Mensch geworden. Aber seine Macht war stark eingeschränkt.«
»Trotzdem hat er sich weiterhin Feinde gemacht.«
»Ja, das stimmt. Aber Sie suchen ein Motiv für einen Mord. Dafür reichen die alten Geschichten nicht aus, wenn Sie mich fragen.«
»Womit hat er denn die Leute gegen sich aufgebracht?«
»Im Vergleich zur Kriegszeit waren das Kleinigkeiten. Wenn Schulte-Stein beispielsweise die Kinder nach der Schule mit dem Pferdekarren zum Kartoffelsuchen abgeholt und ihnen versprochen hat, sie würden eine Mark dafür bekommen – dann hat er ihnen am Ende des Tages fünfzig Pfennig gegeben. Und während der Arbeit gab es nichts zu essen und nichts zu trinken, anders als bei den anderen Kartoffelbauern, die Pfannkuchen und Kaffee für ihre Arbeiter machten. Aber sagen Sie ehrlich: Das ist kein Mordmotiv. Schon gar nicht Jahrzehnte später.«
»Nein, da haben Sie wohl recht.«
»Mein Vater sagte immer: Berg und Tal begegnen sich nicht, aber zwei Menschen, die begegnen sich. Otto Schulte-Stein wurde von keinem gemocht. Und später, als Alfons Schulte-Stein den Gutshof übernommen hat, war es mit ihm genauso. Doch ganz gleich, wie lange ich darüber nachdenke, es gibt keinen in der Bauernschaft, der als Mörder infrage käme.«
Hambrock wollte ihm nicht widersprechen, auch wenn er anderer Meinung war.
»Was genau war auf diesen Fotos abgebildet, die gestohlen wurden?«
»Das waren Bilder der Familie Schulte-Stein«, sagte Carl Beeke. »Und Fotos von Düstermühle, die während des Kriegerfests gemacht wurden.«
»Rosa Deutschmann sagte, Sie hätten sich die Bilder angesehen, kurz bevor das Album gestohlen wurde.«
»Ja. Ich habe sie genau betrachtet, jedes einzelne. Doch da war nichts, was mit dieser Sache in Zusammenhang stehen könnte. Ein Foto vom alten Otto Schulte-Stein in seiner Uniform. SS-Leute auf einem Gartenfest. Da wurde sein Geburtstag gefeiert. Ganz gewöhnliche Bilder, wären da nicht die Hakenkreuze und die Uniformen.«
»Trotzdem. Wenigstens eins davon muss etwas abgebildet haben, was für den Einbrecher verhängnisvoll sein könnte.«
»Vielleicht ja auch nicht. Es fehlte schon vorher ein Foto.«
»Wie bitte?«
»Als ich mir das Album angesehen habe, fehlte eins. Rosa meinte, Alfons Schulte-Stein habe es mitgenommen. Er war kurz vor seinem Tod bei ihr gewesen, um sich das Album anzusehen. Offensichtlich hat er heimlich eins der Bilder rausgerissen und mitgenommen.«
»Ein fehlendes Foto.« Hambrock dachte nach. »Was könnte drauf gewesen sein?«
»Das weiß ich nicht. Es fehlte eins auf der Seite mit dem Gartenfest auf dem Hof der
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