Düstermühle: Ein Münsterland-Krimi (German Edition)
Platz. Möchten Sie Kaffee?«
Hambrock lehnte dankend ab und setzte sich auf die Couch, die im Gegensatz zu Carl Beekes Lehnsessel offenbar selten benutzt wurde. Dann sah er hinaus. Die Landschaft hinter dem Panoramafenster nahm ihn gefangen.
»Eine schöne Aussicht haben Sie hier.«
»Ja, das stimmt.« Carl Beeke lächelte. »Die Natur verliert nicht so schnell ihren Reiz. Früher hatte ich hier einen Fernseher stehen, aber so ist es viel interessanter, wenn Sie mich fragen.«
»Ja, das glaube ich gern.«
Hambrock betrachtete den grauen Himmel, die kahlen Weiden und den Dunst, der über dem Bach aufstieg. Eigentlich war es nur eine öde Winterlandschaft, trotzdem war sie voller Schönheit.
»Wenn man hier sitzt, ist alles weit entfernt«, sagte Carl Beeke. »Die kleinen Probleme des Alltags sind egal. Es geht um das Wesentliche. Aber nicht alle Menschen können sich für die Natur öffnen. Dabei hat sie viel Trost zu bieten.«
Hambrock sollte über die Todesermittlung sprechen. Das war der Grund seines Besuchs. Aber irgendwas hielt ihn davon ab. Er hätte gerne einen Moment einfach so dagesessen und sich ausgeruht. Gar nichts getan, nur die Landschaft betrachtet.
»Fast könnte man vergessen, dass zwei Menschen ums Leben gekommen sind, nicht wahr?«, sagte Carl Beeke.
»Meine Schwester liegt im Sterben. Sie heißt Birgit.«
Es war ihm einfach herausgerutscht. Carl Beeke sah ihn lange an. Er schwieg und nickte dann. Hambrock spürte die Trauer, die er seit Tagen beiseitegeschoben hatte. Die Angst.
»Das ist schlimm«, sagte Carl Beeke schließlich.
Hambrock holte Luft. »Ja«, sagte er leise.
Nach einer weiteren Schweigepause nahm er sich zusammen. Er musste weitermachen. »Entschuldigen Sie. Ich …« Er schob den Schmerz beiseite. »Ich schätze, Sie haben schon erfahren, dass Siegfried Wüllenhues nicht der Täter gewesen ist. Er wäre körperlich gar nicht in der Lage dazu gewesen.«
Carl Beeke betrachtete ihn nachdenklich. Dann nickte er wieder. »Ja, das habe ich schon gehört. Neuigkeiten sprechen sich hier schnell herum.«
»Siegfried Wüllenhues ist definitiv unschuldig«, fuhr Hambrock fort. »Wir wissen noch nicht, weshalb er dort in der Schmiede war. Aber den Mord hat er nicht begangen. Deshalb bin ich hergekommen. Ich würde mich gerne noch einmal mit Ihnen über die Sache unterhalten.«
»Weil Sie glauben, ich könnte Antworten haben?«
»Vielleicht. Ich habe die Befragung gelesen, die mein Kollege mit Ihnen geführt hat. Dabei hatte ich das Gefühl, dass es Ihnen nicht egal ist, was hier passiert. Diese Todesfälle haben Sie sehr aufgewühlt.«
»Das stimmt. Es ist mir nicht gleich.«
»Keiner kennt sich so gut in Düstermühle aus wie Sie, Herr Beeke. Sie leben seit einer halben Ewigkeit hier, und Sie wissen wohl am meisten über die Menschen, die hier wohnen.«
»Das ist richtig. Aber trotzdem weiß ich nicht, wer diesen Mord begangen hat. Ich habe nicht einmal eine Ahnung. Ist das nicht seltsam? Ich müsste es eigentlich wissen. Zumindest einen Verdacht müsste ich haben. Aber ich bin genauso unwissend wie Sie.«
»Es muss doch Leute in Düstermühle geben, die ein Motiv hätten, Alfons Schulte-Stein zu töten. Mal abgesehen von Siegfried Wüllenhues.«
»Es gibt viele, die eine Rechnung mit Schulte-Stein offen haben, das schon. Aber gleich einen Mord begehen? Ich glaube nicht, dass dafür der Hass groß genug ist.«
»Egal. Werden Sie ruhig konkret. Wer hatte noch eine Rechnung mit ihm offen?«
Carl Beeke lehnte sich zurück. Er stieß einen schweren Seufzer aus. »Alfons hat auf seine alten Tage sehr zurückgezogen gelebt. Manfred hatte ja längst die Geschäfte übernommen. Alfons dagegen hat in der Werkstatt gesessen und Körbe geflochten. Die Zeit, in der er sich Feinde gemacht hat, ist lange vorbei. Ich glaube, die Gründe für das Verbrechen liegen in der Vergangenheit.«
»Das denke ich auch, und zwar aus noch einem Grund. Es wurde nicht einfach so bei Rosa Deutschmann eingebrochen. Ausgerechnet jetzt. Und alles, was fehlt, ist ein altes Fotoalbum. Ein Fotoalbum, das eigentlich der Familie Schulte-Stein gehörte. Mit Bildern von früher. Das ist doch kein Zufall.«
»Nein, wohl nicht.«
»Also. Was denken Sie?«
»Was ich denke?« Er lächelte. »Wissen Sie, Herr Hambrock, es ist heute schwer zu erklären, wie das Leben damals war. Heute arbeiten die Leute in Münster und in Warendorf, und sie sind tagsüber mit ihren Autos fort. Die Menschen sind nicht mehr so
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