Düstermühle: Ein Münsterland-Krimi (German Edition)
das ging natürlich nicht.
Er hatte die halbe Nacht in der Kneipe von Jamaine verbracht. Seine Frau war zu einer Tagung nach Düsseldorf gefahren, und irgendwie hatte er keinen Grund gesehen, nach Hause zu gehen, bevor Jamaine den Laden dichtmachte. Sie fehlte ihm. Und eigentlich hatte Elli ihre Teilnahme ja auch absagen wollen. Er hatte sie dabei erwischt, wie sie im Wohnzimmer mit ihrem Kollegen telefonierte und irgendetwas von einer Migräne faselte, die es ihr unmöglich machte, ihn zur Tagung zu begleiten. Doch Hambrock wusste genau, wie sehr sie sich darauf gefreut hatte. Und wie wichtig diese Tagung für ihre Arbeit an der Universität war.
»Natürlich fährst du hin! Weshalb denn nicht?«, sagte er, nachdem sie das Gespräch beendet hatte.
»Ach, Bernhard, du weißt doch …«
»Nein. Wir machen weiter wie gehabt. So etwas fangen wir erst gar nicht an.«
Sie rang mit sich. »Ich will nicht dahin. Verstehst du das nicht?«
»Wir wissen doch noch gar nicht, was mit Birgit überhaupt ist. Vielleicht geht ja alles gut.«
»Trotzdem. Ich hätte einfach keine Ruhe.«
Aber er wollte nichts davon hören. Diesen Gedanken wollte er nicht zu Ende denken.
»Birgit wird gesund. Sie ist eine Kämpferin.«
»Ach, Bernhard …«
»Nein. Ich bestehe darauf.«
Elli wollte nicht wegen Birgit bleiben, sondern wegen ihm. Das war völlig klar. Sie und Birgit hatten noch nie viel miteinander anfangen können. Der Umgang war immer höflich gewesen, mehr nicht. Elli wollte einfach in seiner Nähe sein, für den Fall, dass sich die Dinge schlecht entwickelten. Für den Fall, dass Birgit …
»Wir wissen doch noch gar nichts«, sagte er wieder.
Sie schwieg.
»Pass auf, Elli. Wir machen das so: Für den Fall, dass es ernster wird, rufe ich dich sofort an. Die Tagung ist in Düsseldorf! Herrje, wenn wirklich was sein sollte, bist du in zwei Stunden wieder hier. Du musst nur dein Handy eingeschaltet lassen.«
Sie zögerte. Er spürte ihr Unbehagen.
»Ich rufe dich an. Du wirst rechtzeitig wieder hier sein. Mach dir keine Sorgen.«
Es gefiel ihr nicht, doch schließlich sagte sie: »Also gut. Wenn du das so möchtest.«
Und sie war gefahren. Später dann, als Hambrock allein in der Wohnung hockte und die Wände anstarrte, hatte er sich gedacht: Du Idiot. Wieso hast du das getan? Wem willst du damit was beweisen?
Gestern Abend war er dann zu Jamaine gegangen, um sich die Einsamkeit zu vertreiben. Die Kneipe war überfüllt gewesen. Eine Schar von Studenten, die ihre bestandenen Examen feierten. Hambrock war das recht gewesen. So musste er mit niemandem reden, keiner beachtete ihn, und dennoch war er nicht allein.
Jamaine war in seinem Element. Von jungen Leuten umringt, die für Reggaemusik und jamaikanische Kultur schwärmten, konnte er sein Showtalent präsentieren. Selbst sein Akzent war plötzlich viel stärker als sonst. Bedient wurde Hambrock von seiner Kellnerin, einer weißen Frau mit Dreadlocks und Batikkleid, die eigentlich viel zu alt war, um noch in Studentenkneipen zu arbeiten.
Irgendwann, nach Hambrocks drittem oder viertem Bier, tauchte Jamaine plötzlich am Tresen auf. Er hatte seine Fangemeinde einen Augenblick stehen lassen, um Hambrock zu begrüßen.
Sein Grinsen verlor das Selbstgefällige, und auch sein Akzent war beinahe verschwunden. »Schön, dich zu sehen, Hambrock. Amüsierst du dich?«
Hambrock hob die Schultern und lächelte unbestimmt. Er hatte eigentlich gar keine Lust, sich zu unterhalten, auch nicht mit Jamaine. Und der stand lange genug hinterm Tresen, um so etwas sofort zu bemerken. Bevor er wieder zu seinen Studenten zurückging, fragte er: »Wie geht’s deiner Schwester?«
»Abwarten. Man weiß im Moment nichts.«
»Ich verstehe.«
»Die Ärzte können nur wenig sagen.«
Er nickte. »Tut mir leid. Ich hoffe, es geht ihr bald besser. Grüß sie von mir.«
Dann drehte er sich um, ließ seinen Blick durch den Schankraum wandern und begrüßte frisch eingetroffene Gäste.
»Jamaine!«, rief Hambrock.
Der Wirt drehte sich um und hob fragend die Augenbrauen.
Hambrock stockte. Was sollte er jetzt sagen? Das war doch alles Unsinn. Jamaine konnte nicht in die Zukunft sehen. Er hatte keine übersinnlichen Fähigkeiten. So etwas gab es gar nicht. Woher sollte er wissen, ob seine Schwester sterben oder überleben würde? Wer an solch einen Schwachsinn glaubte, sollte besser zum Psychiater gehen. Jedenfalls war das Hambrocks Meinung.
»Ach, nichts …«, sagte er.
Jamaine
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