Düstermühle: Ein Münsterland-Krimi (German Edition)
lächelte, doch es lag Traurigkeit in seinem Blick. »Das wird schon wieder«, meinte er.
Es hörte sich an, als ob man einem Kind gegenüber versicherte, alles werde gut. Natürlich war es eine Lüge. Jamaine drehte sich um und verschwand in der Menge.
Hambrock konnte nicht mehr sagen, wie lange er noch dagesessen und Biere in sich hineingeschüttet hatte. Doch als am Morgen der Wecker klingelte, fühlte es sich an, als wäre eine Sprengbombe in seinem Schlafzimmer detoniert. Das schrille Läuten ließ alle Synapsen explodieren.
Doch er hatte sich fest vorgenommen, vor der Arbeit im Krankenhaus vorbeizuschauen. Und ein Kater sollte kein Grund dafür sein, diesen Plan über den Haufen zu werfen. Nach einer langen heißen Dusche fühlte er sich einigermaßen stark genug, um unter Menschen zu gehen.
In den Fluren der Klinik nahm ihm der typische Krankenhausgeruch den Atem. Er kämpfte seine Übelkeit nieder und ging weiter. Auf der Intensivstation wurde er von einer Schwester angewiesen, Mundschutz und Kittel anzulegen. Birgit durfte keinen Keimen ausgesetzt werden. Erst danach ging es weiter. Zu seiner Überraschung war seine Mutter weder im Aufenthaltsraum noch im Krankenzimmer. Birgit war allein. Sie lag in ihrem Bett und dämmerte vor sich hin. Eine Maschine überwachte ihre Vitalfunktionen, aus ihrer Nase ragte ein Beatmungsschlauch. Als sie ihn an ihrem Bett erkannte, lächelte sie schwach. Er setzte sich.
»Hallo, Birgit. Wie geht es dir?«
»Keine Ahnung. Wie sieht es denn für dich aus?«
Das entlockte ihm ein Lächeln. »Geht so«, sagte er.
»Ich habe das Gefühl, als würde in meinem Körper ein Krieg toben. Irgendwelche Bakterien kämpfen gegen dieses Gift, das Tag und Nacht durch den Infusionsbeutel läuft. Ein schräges Gefühl ist das, sage ich dir. Es kommt mir vor, als wäre ich gar nicht beteiligt.«
»Weißt du denn, wer gewinnt?«
Die Frage war ihm einfach so rausgeruscht. Dabei wollte er die Antwort gar nicht hören.
Birgit schwieg.
Er blickte sich um. »Wo ist eigentlich Mutter?«
»Ist sie nicht im Wartebereich?«
»Nein. Ich hab sie nicht gesehen.«
»Dann holt sie sich gerade einen Kaffee aus der Krankenhauskantine.« Sie lächelte schwach. »Du hast ein gutes Timing, Bernhard.«
»Ich …«
Er wusste nicht, was er sagen sollte. Bisher hatten er und seine Schwester immer über alles reden können. Besonders, wenn es um ihre Eltern ging. Doch hier schien das anders zu sein. Alles war hier anders.
»Du siehst aber auch nicht gerade wie der frische Frühling aus«, sagte Birgit.
»Ach, die Arbeit, du weißt schon.«
»Die Arbeit? Ist das so?«
Er zögerte. »Ich mache mir halt Sorgen um dich«, sagte er schließlich.
Schweigen. Sie blickten sich an. Er wusste nicht, wie er weitermachen sollte.
»Birgit, ich …«
Die Tür flog auf. Sie wurden unterbrochen. Jürgen trat ein, Birgits Mann. Hambrock hatte ihn in den letzten Tagen kaum gesehen, weil er meist morgens ins Krankenhaus kam, wenn die Kinder in der Schule waren. Die Stimmung im Zimmer änderte sich sofort. Sein Gesicht war steinern, trotzdem konnte Hambrock die Zerrissenheit und die Angst erkennen, die hinter dieser Maske lagen. Jürgen nahm kaum Notiz von ihm. Seine ganze Aufmerksamkeit galt Birgit. Hambrock war hier überflüssig. Selten hatte er etwas so deutlich gespürt. Er begrüßte Jürgen, umarmte ihn kurz und verabschiedete
sich.
»Danke, dass du gekommen bist«, sagte Birgit.
»Ich besuche dich bald wieder. Versprochen.«
Dann nickte er Jürgen zum Abschied zu und verschwand durch die Tür.
Später hockte er in seinem Büro und betrachtete die Gärten des gutbürgerlichen Wohnviertels, das sich hinter dem Hochhaus des Polizeipräsidiums erstreckte. Alles sah düster und grau aus, als wären die Farben aus der Landschaft herausgezogen worden. An geschützten Stellen lag noch Schnee von der vergangenen Nacht. Doch das meiste war weggetaut.
Hambrock dachte über Birgit nach. Über ihre gemeinsame Kindheit in Vennhues. Birgits erstes Mofa, das er für sie frisiert hatte, kam ihm in den Sinn. Sie waren damit Rennen über Feldwege und Stoppelfelder gefahren. Birgit war immer furchtlos gewesen, schon als Kind.
»Hambrock? Wenn du so weit bist, können wir.« Guido Gratczek war in der Tür aufgetaucht.
Hambrock brauchte einen Moment, um zu begreifen. »Richtig, die Beerdigung!«
»Wir sind noch früh dran«, sagte Gratczek. »Trotzdem sollten wir uns langsam auf den Weg machen.«
Hambrock ließ den
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