Düstermühle: Ein Münsterland-Krimi (German Edition)
Hambrock nicht. Er sog die kalte Luft ein. Dann trat er ans Waschbecken und drehte den Hahn auf. Sein Spiegelbild sah furchtbar aus. Wie viel Schlaf hatte er in den letzten Tagen bekommen? Er spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht. Die Kälte vertrieb für ein paar Sekunden jeden anderen Gedanken.
Es waren jetzt alle da. Elli war aus Düsseldorf zurückgekehrt, Jürgen und die Kinder saßen bereits seit dem frühen Morgen im Aufenthaltsraum, und seine Eltern waren ebenfalls eingetroffen. Nach der Morgenvisite waren sie für ein paar Minuten bei Birgit im Krankenzimmer gewesen. Doch sie lag immer noch im Tiefschlaf. Wie es aussah, würde sie nicht mehr daraus erwachen.
Der Schmerz, die Trauer, die Verlustängste und die Panik – alle Gefühle stürzten plötzlich über ihn ein. Er glaubte den Verstand zu verlieren. Er drehte den Hahn weiter auf und hielt den Kopf unter das fließende Wasser. Es war wie eine Explosion. Als würde er in einen Bergsee springen. Er lebte nur noch im Moment, alles war weit entfernt. Es gab kein Krankenhaus, kein Warten und kein Nachdenken übers Sterben. Schließlich rang er nach Luft. Die Kälte war nicht mehr zu ertragen. Er stellte das Wasser ab und stützte sich schwer atmend auf das Becken.
Ein Piepsen ließ ihn zusammenfahren. Sein Handy. Es war Guido Gratczek. Natürlich, die Ermittlungen gingen ja weiter, egal was hier passierte. Er zögerte. Dann dachte er daran, was Carl Beeke zu ihm gesagt hatte: Rosa ist tot. Denken Sie an Ihre Schwester. Den Mörder können Sie später noch finden.
Er drückte das Gespräch weg und stellte das Handy aus. Am liebsten hätte er die Batterien herausgenommen, aber das war natürlich Unsinn. Er steckte das Gerät zurück in die Tasche.
In dem Moment ging die Tür auf. Elli steckte ihren Kopf herein. Typisch, sie hatte keine Scheu, eine öffentliche Herrentoilette zu betreten. Sie sah ihn mit nassen Haaren dastehen und war im nächsten Moment bei ihm.
»He! Alles in Ordnung?«
Dann nahm sie ihn in den Arm. Es tat gut, ihre Nähe zu spüren.
»Ich werde mir eine Erkältung holen.«
Sie lachte. »Ja, das stimmt. Gehen wir wieder zurück.«
Sie half ihm, die Haare zu trocknen, und gemeinsam kehrten sie zurück zum Aufenthaltsraum. Hambrock sah seine Familie jenseits der Glasscheibe beisammensitzen.
Plötzlich wusste er: Es ist bald so weit. Er konnte es spüren. Es würde nicht mehr lange dauern.
»Ist wieder alles in Ordnung?«, flüsterte Elli.
Er nickte. Dann stieß er die Tür auf und trat in den Aufenthaltsraum.
Guido Gratczek stand auf der schmutzigen Terrasse und überblickte den ungepflegten, verwilderten Garten. Alte Möbel lagen im Gestrüpp, der Rasen war voller Maulwurfshügel. Ein Rabe, der auf dem Zaun gesessen und ihn beobachtet hatte, flog krächzend davon. Er wartete.
Auf einmal wurde sein Anruf weggedrückt. Mit einem Stirnrunzeln versuchte er es erneut. Jetzt war Hambrocks Handy sogar abgeschaltet. Die Mailbox sprang sofort an.
»Hier ist Guido«, sprach er aufs Band. »Bitte ruf mich zurück, Hambrock. Es ist dringend.«
Er sah durch die gläserne Terrassentür ins Innere des Hauses. Am Wohnzimmertisch saß der kräftige Mann über die alten Fotos gebeugt, die er und Gratzczek sich eben angesehen hatten. Ein grobschlächtiger Typ mit Dreitagebart und Goldkettchen. Durch die große Narbe im Gesicht wirkte er tatsächlich Furcht einflößend.
Als er vor eine Stunde an der Tür geklingelt und sich vorgestellt hatte, da hätte Gratczek niemals geglaubt, dass er diesen Mann wenig später weinen sehen würde. Doch es ging um seinen kürzlich verstorbenen Vater, und die beiden hatten sich ganz offensichtlich sehr nahegestanden.
Gratczek betrachtete sein Handy. Er musste handeln, und zwar schnell. Er versuchte es im Präsidium. Doch auch dort ging keiner ans Telefon. Alle waren unterwegs. Er dachte nach. Es gab keine Alternative. Er musste Keller anrufen.
Es klingelte ein paarmal, dann wurde er auch hier weggedrückt. Gratczek war verblüfft. Das durfte doch wohl nicht wahr sein. Er wählte noch einmal, und Keller drückte ihn ein zweites Mal weg. Das könnte dir so passen!, dachte er. Beim dritten Mal ging sein Kollege genervt an den Apparat.
»Was ist denn?«, blaffte er ihn an.
Gratczek war sprachlos. Erst ließ Keller ihn in Köln sitzen, und jetzt tat er, als wäre es eine Zumutung, von ihm angerufen zu werden. Doch Gratczek beschloss, nicht weiter darauf einzugehen. Die Sache war einfach zu wichtig.
»Wo
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