Duft der Unschuld - Tennington (German Edition)
auf meinem Bett ausgestreckt lag. Noch immer wusste ich nicht, was ich davon halten sollte.
Mein Superhirn schlug mir derweil ein Schnippchen nach dem anderen.
Ein Teil erinnerte mich nachhaltig an meine chronische Untervögelung und ließ mich in kleinen Erregungswellen vor mich hin fluchen, während alle anderen – wichtigen! – Gedanken im Nebel verschwammen.
Ich holte sie gewaltsam zurück in mein Bewusstsein und zählte die Fakten zusammen, um die daraus resultierenden Fragen zu klären. Na gut, vielleicht auch, um sie wenigstens mal zu formulieren, denn Antworten auf jene Fragen … Tja, die standen auf einem ganz anderen Blatt.
Da hätten wir also die Tatsache, dass Kylian zu wissen schien, wo Etienne sich befand und dass es ihm gut ging. Wobei das Wo sich als ‚nicht in Gefangenschaft‘ definierte.
Die daraus resultierende Frage hatte Kylian nur recht schwammig beantwortet. Konnte ich ihm trauen oder hatte er mich einfach in Sicherheit wiegen wollen?
Die nächste Sache war das mit der unfreiwilligen Blutspende von Etienne an Kylian. War es wirklich möglich, dass die Delaports nicht nur Etienne anzapften, sondern auch auf eine neue Art an Nachschub kommen wollten? Wenn dem so war, woher hatten sie das gentechnische Know-how dafür? Immerhin, jemanden, der als übernatürlicher Mensch mit einem Jungbrunnen in sich geboren wurde, auszubeuten war eine Sache. Aber zu versuchen, andere Jugendliche quasi genetisch zu infizieren, als handele es sich bei Etiennes Gabe um ein Virus? Nein, das war eindeutig eine andere Hausnummer.
Und mir wollte partout nicht klarwerden, welches Puzzlestück mir fehlte.
Gesetzt den Fall, dass Kylian die Wahrheit gesagt hatte, gab es klinische Versuche mit lebenden Objekten. In vivo Forschung. Abartig!
Kylian hatte nervös ausgesehen, als er von Etiennes Großmutter gesprochen hatte. Sie machte offenbar nicht nur Etienne Angst. Na gut, diese Frau stand in jedem Fall ganz oben auf meiner privaten Persona-non-grata-Liste. Sie schien abhängig zu sein von neuen Blutspenden. Mich interessierte brennend, wie sie war.
Ich wusste, dass Etiennes Vater bereits über sechzig und sein ältester Sohn knapp dreißig war. Ob Etienne noch jüngere Geschwister hatte, wusste ich gar nicht. Stirnrunzelnd fragte ich mich, ob die Mädchen der Delaports auch etwas Besonderes konnten. Es musste doch einen Grund geben, wieso Großmutti Delaport so scharf auf Jugend war!
Also, abgesehen vom Offensichtlichen.
Die nächste Frage stellte sich, wenn ich an die für mich unklare Verbindung zwischen Kylians Opa und Tennington Castle dachte. Woher hatte er den Einfluss gehabt, seinen Enkel ausgerechnet hierher in Sicherheit zu bringen? Wenn er mit der Geheimorganisation meines Vaters zu tun hätte, wäre ich doch beauftragt worden, auch ihn zu schützen!
Aber das war ich nicht.
Ich begriff, dass ich durch jede aufgeworfene Frage, jeden Zweifel, der sich in mir regte, nur weitere neue und vor allem ebenso unlösbare Fragen aufwarf.
Ich musste anders an diese Sache herangehen.
Mein Gehirn war dazu in der Lage, hunderttausende von Rechenoperationen innerhalb einer Sekunde zu machen, vermutlich sogar schneller, aber es nützte mir nichts, wenn eine Spekulation auf einer Annahme bestand und ich weder für die eine noch für die andere einen glaubwürdigen Anhaltspunkt fand.
Alles, was mir also derzeit blieb, war, darauf zu vertrauen, dass Kylian meine obskure Kommunikation nicht austricksen konnte.
Ich musste mich entspannen. Tief durchatmen und entspannen. Dieses Zerdenken brachte einfach nichts. Immerhin befand ich mich nicht in irgendeinem geplotteten Kriminalroman, sondern im wahren Leben. Und morgen würde ich meinen Dad anrufen und hoffen, dass er mir sagen würde, Etienne sei eingetroffen.
~*~
Nach einer ereignislosen Nacht, in der ich nicht besonders gut, aber auch nicht wirklich schlecht geschlafen hatte, bereitete ich mich auf Frühstück und Unterricht vor. Wenn ich vorher noch zu Zachary gehen wollte, um von dort aus meinen Vater anzurufen, musste ich mich beeilen.
Ich sprintete, noch immer darüber fluchend, dass Smartphones und jede Art von ortbarer Technik an unserer Schule streng verboten waren, den Weg zum Dorf hinab und musste erstaunlicherweise nur zweimal klopfen, um Zachary an die Hintertür zu locken.
„Muss telefonieren“, verkündete ich und schob mich an ihm vorbei in die Waschküche.
„Guten Morgen, Kleiner. Das Telefon im Kaminzimmer ist abhörsicher. Bedien dich
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