Duft der Unschuld - Tennington (German Edition)
Wenn du dich also fragst, wer ich bin, dann trifft die Antwort ‚ein misslungenes Experiment‘ wohl am besten.“ Er seufzte und schloss die Augen.
„Ein misslungenes …?“, wiederholte ich fassungslos.
Er nickte. „Sie wollten meinem Blut die gleiche Wirkung verpassen, die Etiennes Blut hat. Wirklich viel fand ich nicht heraus, aber ich hatte das ausgesprochen zweifelhafte Vergnügen, Etiennes Hexen-Oma kennenzulernen. Ich sag dir, die schrecklichste Furie der Welt ist nichts gegen die Schabracke!“
„Wieso bist du hier?“ Die Frage tauchte so plötzlich in meinem Kopf auf, dass sie einfach herausrutsche.
„Zu meinem Schutz. Mein Opa hat mich irgendwie aus dem Krankenhaus geholt und über seine Verbindungen bin ich hier gelandet. Ich hatte keine Ahnung davon, dass Etienne auch hier sein müsste. Und von dir wusste ich natürlich auch nichts.“
„Und was weißt du jetzt über mich?“
Er hob die Schultern und ein ganz kleines Lächeln kräuselte seinen rechten Mundwinkel. „Ich weiß, dass du vollkommen rettungslos in Etienne verliebt bist und dass er dein Freund ist. Außerdem bist du übermenschlich schlau und … keine Ahnung, erwachsen …“
Tja, damit traf er den Kern aber wirklich gut. Und ich staunte, weil er doch so wenig über mich wusste und mir trotzdem vertraute. Diese Verwunderung äußerte ich auch laut.
„Gute Frage, vielleicht einfach, weil Etienne dir vertraut. Und wenn er wirklich so eine reine Seele hat, wird er kaum dem Falschen vertrauen.“
„Weißt du zufällig, über was für Verbindungen dein Opa dich hier eingeschleust hat?“
„Nicht genau. Er tat ziemlich geheimnisvoll. Wieso fragst du?“
„Na ja, das ist … echt schwer zu erklären …“ Ich wusste schlichtweg nicht, ob ich ihm überhaupt etwas erklären durfte, und entschied mich dafür, möglichst allgemein zu bleiben. „Okay, also … es gibt da eine Organisation, die denkt, dass Leuten wie der Familie von Etienne das Handwerk gelegt werden muss Und es hätte mich nicht gewundert, wenn dein Opa mit einem Mitglied dieser … äh … Interessengemeinschaft in Verbindung gestanden hätte, um dich ausgerechnet hierher zu bringen. Andererseits bin ich mir sicher, dass man mir davon erzählt hätte …“
„Wieso sollten sie?“
„Weil ich dazu da bin, solche Grusel-Familien wie die Delaports aufzuspüren.“
„Aha“, machte Kylian. „Und du denkst, die würden dir alles erzählen, was sie so tun?“
„Nein, natürlich nicht, aber dich habe ich explizit erwähnt, als ich zuletzt dort war, also … da, wo auch Etienne hoffentlich bald ankommt. Sag mal, woher weißt du eigentlich, dass er noch lebt und es ihm gut geht?“
Kylian hob die Schultern. „Die haben gesagt, dass sie ihn nicht einfangen wollen. Sie wollen ihn erpressen, von allein nach Hause zu gehen und das mit sich machen zu lassen.“ Ein sichtbarer Schauder durchlief Kylians muskulösen Körper. Es musste wirklich schlimm gewesen sein in dieser Klinik. Viel schlimmer, als Etienne mir mit hastigen, atemlosen Worten nach seinen Alpträumen anvertraut hatte.
Auch ich konnte ein Schaudern nicht unterdrücken. „Er wird sterben, wenn sie ihn dazu kriegen … Aber das werde ich nicht zulassen!“
„Yves, du bist knappe siebzehn, was willst du denn tun?“
„Eine Menge, zuallererst seiner ekelhaften Oma den Hals umdrehen wie einer Weihnachtsgans!“, entfuhr es mir und meine Wut auf sie war mit einem Mal deutlich zu hören.
Kylian rieb mit dem Daumen an seinem Nasenflügel und grinste verhalten. „Hör mal, tut mir leid, wenn ich das sagen muss, aber du siehst eigentlich nicht unbedingt aus wie Mister Universum, wenn du verstehst … du würdest nicht einmal in die Nähe dieser ‚Privatklinik‘ kommen!“
Ich kicherte und beschloss, ihn in dem Glauben zu lassen. Meine Fähigkeiten teilte ich mit Etienne und mit denen, die sie mir gegeben hatten, aber sonst mit niemandem. „Lassen wir das. Jedenfalls werde ich dann hier wohl auch auf dich aufpassen, allein schon, weil du genauso nach Unschuld riechst wie Etienne, und es nun mal nichts Schützenswerteres gibt, als unschuldige Seelen.“
Wir sprachen noch eine Weile über Belangloses, Allgemeines und auch darüber, dass wir Stillschweigen bewahren würden. Danach, kurz vor Mitternacht erst, machten wir uns auf den Weg zu unseren Wohneinheiten.
~*~
Die ganze Zeit über dachte ich an die Dinge, die Kylian mir anvertraut hatte, während ich mit hinter dem Kopf verschränkten Armen
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