Duft der Unschuld - Tennington (German Edition)
bedeutete, dass er mir bis mindestens Weihnachten, also das gesamte erste Trimester mit Rat und Tat zur Seite stehen würde, damit ich mich gut einleben konnte. Natürlich gefiel mir das, denn dieser Umstand würde dabei helfen, meine enge Verbindung zu Yves zu verschleiern.
Der Unterricht fiel mir nicht so schwer, wie ich erwartet hatte. Den Beginn des letzten Schuljahres hatte ich noch mitbekommen, und zum ersten und wohl auch einzigen Mal war ich froh, dass meine Eltern mich damals auf ein internationales Internat geschickt hatten. Wenn ich mir vorstellte, wie es wäre, die englische Sprache nicht fließend zu sprechen, sähe die Sache schon ganz anders aus.
Heute hatte ich Geschichte, Englisch, Mathematik, Biologie und Französisch. Bis auf Französisch, das außer mir nur Yves belegt hatte, traf ich in jedem Kurs auf meine Wohnpartner und war darüber sehr froh.
Und es tat wirklich gut, die vier um mich zu haben. Ich ahnte, dass sie alle gute Freunde werden konnten. Freunde, die ich seit langem nicht mehr gehabt hatte.
Zum Lunch gab es heute Caprese mit frischem Ciabatta-Brot. Es roch super und schmeckte noch besser. Offensichtlich schlug sich das hohe Schulgeld auch in ausgezeichnetem Essen nieder.
Ich dachte an Zachary und fragte mich erneut, wieso er das für mich tat. Wieso er sein Geld in mich investierte, einen dahergelaufenen Jungen mit düsterer Vergangenheit. Finanzielle Dinge hatten mich nie gekümmert, bis ich geflohen war. Ich hatte jede Menge Taschengeld, niemand hatte mich je gefragt, wofür ich das Geld brauchte, meine Eltern hatten zu viel davon, als dass es sie interessiert hätte.
Doch seitdem ich wusste, wie viel ein einzelner Euro wert sein konnte, wenn man richtigen, echten Hunger hatte, wenn man sich nach nichts weiter als ein paar Bissen zwischen den Zähnen sehnte, hatte ich gelernt, andere Reichtümer zu schätzen. Menschlichkeit, Mitgefühl und Unvoreingenommenheit. Damit war Zachary mir begegnet. Und mit Verständnis. Ich lächelte versonnen, während ich darüber nachdachte, und Gregorio stieß mich in die Seite.
„Wen himmelst du denn an?“, fragte er kichernd und mein Blick klärte sich.
„Niemanden. Ich hab nur drüber nachgedacht, wie dankbar ich Zachary bin, weil er mich hierher geschickt hat …“ Es tat gut, bei solchen Dingen so nah an der Wahrheit bleiben zu können. So unendlich gut!
„Zac ist cool, er hält hier manchmal Vorträge über große geschichtliche Ereignisse.“
Das erstaunte mich, weil er mir das nie erzählt hatte. „Echt? Wusste ich gar nicht!“
Yves lächelte mich über den Tisch hinweg an. „Das wundert mich nicht. Er ist kein Angeber. Seine Vorträge sind immer gut besucht, weil er Geschichte lebendig macht.“
Ich musterte ihn. „Klingt spannend.“
„Das ist es. Einmal hat er die Theatergruppe des Dorfes mitgebracht und sie haben um das Publikum herum angefangen, das alte Leben hier in Tennington nachzuspielen. Mägde und Knechte, Edelleute … das volle Programm. War echt toll!“
Irgendwie freute es mich, dass es an Zachary so viele Facetten gab. Und ich verstand etwas besser, wieso ihn die Diskussionen mit Yves so reizten. Deshalb nahm ich mir vor, ihn am kommenden Wochenende mit zu meinem ‚Onkel‘ zu schleppen und mir ein solches Gespräch anzuhören.
~*~
Nachdem ich mich für die Kurse eingetragen hatte, kehrte schon innerhalb weniger Tage so etwas wie Normalität ein. Es fiel mir nicht so schwer, wie ich befürchtet hatte, mich an meine Mitschüler und die Jungs aus der Wohngruppe zu gewöhnen. Klar, bei Yves erst recht nicht, er war mir sehr nah, auch wenn er auf einem Ausritt und ich in einem Ruderboot war.
Und ich stellte jeden Morgen ausgesprochen erfreut fest, dass er tatsächlich ausschließlich nach sich selbst und diversen Pflegeprodukten roch. Duschgel, Rasierschaum, Zahnpasta und – im Gegensatz zu Sonntag beim Spiel – kein Deo oder Parfum. Als ich ihn darauf ansprach, lächelte er und sagte: „Ich dachte, es gefällt dir, wenn ich nur nach mir rieche.“
In der Tat gefiel es mir, besonders, weil ich wusste, dass er nicht nur auf das fehlende Deo anspielte, sondern eher auf die Gerüche anderer Jungs. Ich machte mir viele Gedanken dazu, fragte mich immer wieder, wieso ich ausgerechnet bei Yves so viel Wert auf Exklusivität legte. Er war beliebt und zu allen freundlich, natürlich hatte er einige Verehrer, die ihm Blicke nachwarfen, während ich mit ihm über den Campus ging.
Ich dagegen hätte ihnen
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