Duft der Unschuld - Tennington (German Edition)
mich auf den Weg und saß den gesamten restlichen Unterricht über mit viel zu vielen Gedanken im Kopf herum. Etienne bemerkte es und es fiel mir sehr schwer, nicht beim Mittagessen mit den schlechten Nachrichten herauszuplatzen. Irgendwie schaffte ich es, ihn auf später zu vertrösten.
Kapitel 21
ETIENNE
Als Yves wieder in den Klassenraum kam, sah ich schon, dass irgendetwas passiert sein musste. Zumal der Dekan normalerweise niemanden aus dem Unterricht rief, wenn es nicht um Leben und Tod ging. Soviel hatte ja selbst ich mittlerweile begriffen.
Nach der letzten Stunde schaffte ich es gerade noch, meine Schulsachen auf meinen Schreibtisch zu legen, als die Tür sich öffnete, Yves hereinstürmte und mich umarmte.
„Ich kann nicht mitkommen. In den Urlaub, meine ich. Ich werde … Ich muss ins Labor.“
Während ich mich noch fragte, was für ein Labor er meinte, legten sich seine Lippen an meine und ich brauchte einige Kraft, um mich von ihm zu lösen.
„Langsam, Yves, wovon sprichst du?“
Er seufzte vernehmlich und ließ sich auf meine Bettkante fallen. Er rieb sich über die Stirn und ich sah, dass er zitterte. „Das Genlabor, in dem man mich … äh … designt hat. Mein Dad hat vorhin angerufen. Keine Ahnung, was sie wollen! Aber ich will nicht da hin!“
Ich setzte mich neben ihn und zog ihn an mich. „Scht, beruhige dich. Was könnten sie denn wollen? Funktioniert irgendwas nicht richtig?“
Ich brauchte einen Moment, um zu kapieren, dass seine Schultern vor Lachen zuckten.
„Etienne, ich bin keine Maschine. Ich habe nur künstliche Gelenke! Der ganze Rest ist Gentechnik. Sie haben mich nicht gebaut, sie haben nur ein paar meiner Eigenschaften, die ich durch meine biologischen Eltern bekommen habe, verstärkt. Nein, eigentlich haben sie funktionale Organe wie mein Gehirn oder meine Augen einfach nur … besser gemacht. Ich bin ich, verstehst du? Ich bin nur leistungsstärker und effizienter als andere.“
Ich strich mit der Hand über seine Wange, fuhr mit den Fingerspitzen seine Gesichtskonturen nach. „Das klingt alles so … mechanisch, Yves. Für mich bist du viel mehr als das … Ich kann das gar nicht in passende Worte kleiden … Am Ende lande ich immer nur bei ‚vollkommener Schönheit‘. Und damit meine ich ganz sicher nicht nur dein Äußeres, ich hoffe, das weißt du.“
Komisch, es fiel mir gar nicht schwer, diese Dinge zu sagen. Obwohl sie mir gegenüber jeder anderen Person ganz sicher als oberkitschig und schmalzig erschienen wären. Yves aber war genau das, perfekt. Und das würde ich auch in Gegenwart anderer jederzeit sagen können.
Sein Lächeln erfüllte mich mit Freude, brachte mein Herz einmal mehr ins Stolpern und erlaubte es mir nicht, ruhig weiter zu atmen. Woher diese Macht kam, die er über mich und meinen Körper hatte, ich wusste es nicht. Vielleicht gehörte all das zu der großen, vielbesungenen und allumfassenden Liebe. Um ehrlich zu sein, es war mir völlig egal. Ich wollte Yves und er wollte mich, so oder so hatten wir wahnsinniges Glück, uns begegnet zu sein.
Ich dachte an seine Worte von vor ein paar Wochen, dass er hier auf mich gewartet hätte. Dass alles einen Sinn hatte. Und vielleicht hatte er recht damit.
Es war zugegebenermaßen eine schöne Vorstellung. So romantisch.
„Worüber denkst du nach?“, fragte er leise und doch schreckte ich hoch.
„Glaubst du an Zufälle?“
Er schüttelte den Kopf. „Es gibt keine Zufälle, Etienne. Dinge passieren niemals grundlos. Es gibt Verknüpfungen, Beziehungen, Pläne, die alles miteinander vernetzen und sich gegenseitig bedingen. Das Ergebnis selbst entspricht keinem erkennbaren Plan mehr, aber nichts davon geschieht zufällig.“
„Weshalb bist du nach Tennington gekommen? Ich meine, dieser Ort hier ist … war es nicht sehr unwahrscheinlich, dass ich genau hier lande? Es gibt auf der Welt eine Million Dörfer dieser Art, noch viel mehr Städte, ich hätte doch überall auftauchen können!“
Yves lächelte. „Mein Vater hat mich hierher geschickt, nach dem wirklich fiesen Rosenkrieg mit meiner Mutter. Die beiden sind seit ein paar Jahren geschieden … Er hat so lange um das Sorgerecht gestritten, bis er es schließlich bekam. Und es war ein schmutziger Streit … Aber das tat er nur, um meiner Mutter noch mal so richtig eins auszuwischen, denke ich. Dass er mich anschließend hierher abschob … hm, ich weiß nicht, den wirklichen Grund, den er dafür hatte, kenne ich nicht. Aber
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