Duft der Unschuld - Tennington (German Edition)
anscheinend wussten sie, dass ich hier entweder unauffällig aufwachsen oder dich finden würde. Es wusste glaube ich keiner, wann derjenige auftaucht, den ich beschützen soll. Ehrlich gesagt war ich am Anfang verwirrt, dass ich dir so früh begegnete. Ich war irgendwie immer davon ausgegangen, dass ich mindestens dreißig werden würde, bevor mein Auftrag beginnt …“
Das klang plausibel. „Hm, aber das würde wieder für einen gewissen Zufall sprechen, oder nicht?“
„Nein, denn irgendeinen Grund wird es gegeben haben, mich ausgerechnet hierher zu schicken. Und wenn es nur der war, mich und meine Talente möglichst geheim zu halten. Wie du selbst herausgefunden hast, ist Tennington nicht grade der Nabel der Welt … Weshalb bist du hierher gekommen?“
„Ich weiß nicht, es fühlte sich richtig an. Also, überhaupt nach Großbritannien zu gehen … und dann immer nordwärts. Ich habe nicht darüber nachgedacht.“
„Dein Gefühl hat dich gelenkt. Dein Bedürfnis nach Sicherheit.“
Zögerlich nickte ich. Denn er hatte recht! Während ich darüber nachdachte, wurde es immer klarer. „Stimmt. Ich hätte nur nie erwartet, sie auch zu finden, diese Sicherheit …“
Er schlang seine Arme um mich und küsste mich wieder. Es tat so gut! Und es machte mich traurig, dass wir uns nun nicht einmal mehr im Urlaub sehen konnten.
„Kann ich dich zu einem winterlichen Spaziergang zu Pferde überreden?“, fragte er und ich nickte. Frische Luft und ein Ausflug würden uns gut tun. Trotzdem blieben wir noch eine Weile so sitzen, bevor er in sein Zimmer ging und ich mich umzog. Als wir uns auf dem Flur trafen, sah er genauso eingepackt aus wie ich. Neben Reithosen und Winterreitstiefeln, Rollkragenpullovern und dicken Westen trugen wir Schals, Mützen und Handschuhe. Die Mützen mussten wir zwar noch durch Reithelme ergänzen, aber daran gewöhnte man sich schnell.
Drent war ein wenig angepiekst heute, ich musste ihn mehrmals durchparieren, bis er sich endlich vernünftig in die Hilfen stellen ließ. Trotzdem machte es Spaß, ihn neben Giacomo über die schneebedeckten Hügel zu treiben. Wir lachten und jagten uns gegenseitig durch die Landschaft, die Luft war frisch und rein, irgendwie viel klarer als im Sommer. Und die Gerüche der Natur hatten sich noch deutlicher verändert. Nässe und Holz dominierten, dazu kamen nur noch der Geruch der Pferde und Yves’ wunderbares Aroma. Ich mochte die Mischung sehr.
„Etienne, lass uns da hinten auf den Hügel reiten, ich will dir etwas zeigen!“, rief er und deutete nach links.
Ich nickte und folgte ihm. Wir kamen nicht ganz oben an, denn ein kleiner Schneehase kreuzte Giacomos Weg und ließ ihn scheuen. So behäbig sich der Wallach sonst gern anstellte, jetzt stieg er schneller als Yves reagieren konnte. Und er versuchte es wirklich.
Einen Sekundenbruchteil später rollte Yves über den Schnee. Der dumpfe Aufprall , mit dem er landete, klang so endgültig, dass ich aufschrie. Ich sprang ab und war neben ihm, griff zitternd nach seinen Händen, tastete über sein Gesicht, wagte es nicht, ihn zu bewegen. Der Sturz hatte ihn ausgeknockt. Meine Stimme war nicht mehr als ein hilfloses Fiepen. Immer wieder wisperte ich seinen Namen. Wusste nicht, ob ich irgendetwas tun konnte.
Dann geschah etwas, das ich – natürlich – noch nie gesehen hatte. Es war, als würde ein PC neugestartet. Das Leben kehrte in sein blasses Gesicht zurück und seine Augenlider fuhren regelrecht hoch. Seine Pupillen weiteten und verengten sich, dann blinzelte er. „Etienne! Ich bin okay. Was ist …?“
Er versuchte, sich aufzurichten, aber ich war so froh, ihn wieder bei Bewusstsein zu sehen, dass ich mich mehr oder weniger sanft auf ihn warf und ihn umarmte. Ich musste ihn einfach spüren und festhalten. Fühlen, dass es ihm gutging.
„He, was ist denn los?“
„Du warst weg! Vollkommen weg! Und dann bist du …“, ich nahm etwas Abstand und sah in seine Augen, „du wieder … hochgefahren, wie ein Computer!“
Er kicherte und umschlang mich. „Wie ein …? Etienne, ich habe dir doch gesagt, dass ich effizienzoptimiert bin. In mir gibt es keine Prozessoren oder Chips, verstehst du?“
Ich nickte abgehackt. Vermutlich ließen sich seine Bewegungen und sein Erwachen dadurch gut erklären. „Ich bin so froh, dass es dir gutgeht!“
„Ich auch.“ Bevor ich es begriff, rollte er mich auf den Rücken und lag auf mir. „Wenn’s hier nicht auf Dauer scheißkalt würde, könnte ich
Weitere Kostenlose Bücher