Duft der Unschuld - Tennington (German Edition)
wir im Lateinunterricht sitzen. Ich ging mit Etienne über den Hof und vermied jede Nachfrage bezüglich der Arbeit.
„Ist vermutlich voll egal, aber ich hab’s echt vergeigt, Yves. Ich konnte nicht mal die Redox-Reaktionen zusammenkriegen …“
„Wieso ist das egal?“, fragte ich mit einem leichten Anflug von Panik. Konnte das bedeuten …?
„Etienne, du wirst doch … zurückkommen nach dem Urlaub, oder?“
Sein Kopf ruckte mit so ertapptem Gesichtsausdruck herum, dass ich die Antwort schon kannte, bevor er sie aussprach.
„Ich habe ziemlich lange darüber nachgedacht … Ich würde gern wiederkommen, aber ich fürchte, das ist zu gefährlich … für euch alle hier. Sie werden mich finden, Yves. Daran habe ich keinen Zweifel. Und ich werde nicht erlauben, dass irgendjemandem in Tennington etwas passiert, nur weil ich mich hier verkrochen habe.“
„Dann begleite ich dich.“ Ich sagte es, bevor ich darüber nachdenken konnte. Aber ich meinte es auch so. Natürlich würde ich ihn nicht allein lassen!
Er blieb stehen und sah mich fest an. „Du musst hier für mich auf Zachary und Stephen aufpassen. Bitte! Ich hab solche Angst, dass ihnen etwas passiert!“
Ich atmete tief durch und versuchte, ruhig zu bleiben. Ich konnte und durfte ihn nicht auf Dauer allein lassen. Für ein paar Wochen Urlaub, ja, das war schwierig, vielleicht schwer zu ertragen, aber es war absehbar. Nun aber …
Mein Schweigen sprach anscheinend Bände, denn er zog mich mit sich in den Durchgang zum See und außer Sichtweite unserer Mitschüler. „Ich würde dich nicht darum bitten, wenn es anders ginge, das weißt du doch, oder? Keiner von euch sollte in meiner Nähe sein. Allein flüchtet und versteckt es sich einfach leichter als zu zweit. Und zwei Leute werden viel schneller wiedererkannt!“
Oh, da waren sie ja wieder, seine alles durchdringende Logik und sein klarer, kühler Kopf. Ich blinzelte und versuchte, meine Stimme zu senken, auch wenn jedes Wort sich in meinem Hals querstellte und mich würgen ließ. „In … Ordnung … ich … werde … auf … sie … aufpassen.“
Sein strahlendes Lächeln, das seine schönen Augen erhellte, war mir bereits Reaktion genug. Er war dankbar und erleichtert.
Meine Arme schlossen sich um ihn und ich zog ihn dicht an mich. „Ich habe Angst um dich.“
Er legte seine Hände um mein Gesicht und neigte den Kopf zu einem Kuss. „Ich auch um dich. Aber ich vertraue darauf, dass du dich und meinen Dad beschützen kannst. Du siehst Dinge immer schon, bevor sie allen anderen klarwerden. Aber jetzt lass uns … Bitte lass uns die Tage genießen, die wir noch haben, ja? Ich verspreche, ich werde irgendwann zurückkommen.“
„Zachary ist in Sicherheit. Ich gebe dir mein Wort.“ Mehr konnte ich nicht sagen, der Rest ging in einem kläglichen Geräusch unter, das irgendwo zwischen Schluchzen und Luftschnappen lag. Ich verbarg mein Gesicht an seiner Halsbeuge und hielt ihn einfach fest.
Etiennes Hand schob sich in meinen Nacken, streichelte mich, gab mir das Gefühl, nicht allein zu sein. „Ich habe Angst um dich“, murmelte ich an seinen Hals.
„Ich weiß. Die habe ich auch, Yves, aber nicht jetzt, nicht hier.“
~*~
Das Wissen um seinen baldigen Weggang machte es mir schwer, noch an etwas anderes zu denken. Natürlich, ich konnte sehen, dass es ihm nicht anders erging. Wir trafen uns sofort nach dem Unterricht in unserem Versteck und taten nichts anderes, als uns aneinanderzuklammern und die Nähe zu genießen.
Wir sprachen, wir schwiegen, wir fühlten.
„Alles wird gut, Yves. Ich locke sie auf eine neue falsche Fährte und komme zurück. Ich habe es genau geplant. Du wirst sehen, spätestens Ende Januar bin ich zurück.“
Ich wollte ihm das so gern glauben, so gern darauf vertrauen, dass er das alles unbeschadet überstehen konnte. Und ich spürte, dass ich es tat. Meine Angst um ihn blieb, aber ich vertraute darauf, dass er es schaffen würde.
„Ende Januar? Das ist tatsächlich schneller, als ich befürchtet hatte.“
Er küsste mich und wir ließen uns nach hinten auf die Matratze sinken. Eng umschlungen murmelten wir keine echten Worte mehr. Wir waren uns einfach nur nah und es tat gut. Ich fragte mich noch immer, ob es wirklich gut war, ihn allein gehenzulassen.
Immerhin wusste ich, dass ich ihn beschützen konnte, egal, wer sich ihm in den Weg stellen würde. Aber das wusste auch Etienne, und wenn er mir den Schutz seines neuen Dads übertrug, tat er das
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