Duft der Unschuld - Tennington (German Edition)
erprobt, genauso oft geglaubt.
„Wir werden heute nur Messungen machen, Yves. In den kommenden Wochen aber werden wir bis zu zwei weitere Hirnsektoren für deine aktive Verwendung freigeben“, erläuterte Jenkins, doch diese versuchte Ablenkung brachte gar nichts. Noch immer fixierte mein Blick meinen Vater.
„Nun rede schon!“
Er seufzte und seine Hand umschloss meine. Das tat er selten und seit langem hatte ich für einen Augenblick das Gefühl, dass er mich aufrichtig und von Herzen liebte. Er zeigte das selten, versteckte sich lieber hinter der ausdruckslosen und durch seine Profession bedingte Maske. Er war Schauspieler, schon vor meiner Geburt. Diese Firma hatte seinem Bruder gehört. Immerhin so viel wusste ich darüber. Der Rest aber lag im Nebel des allgemeinen Schweigens.
„Könnten wir erst mit den Tests anfangen? Ich werde es dir währenddessen erklären. Ich nehme an, du möchtest bald etwas essen und schlafen.“ Er überraschte mich heute mehrfach, diese ungewohnte Fürsorglichkeit versetzte mich aber doch in eine gewisse Alarmbereitschaft.
Ich nickte und Jenkins trat hinter ein Pult zu meiner Linken, während mein Vater sich nach rechts entfernte.
Ich lehnte den Kopf gemütlich an die Kopfstütze und ruckelte noch ein wenig herum. Die Kuppel über mir fuhr herab und schloss mich ein. Jenkins stand ebenso außerhalb wie mein Vater.
Die Glasfasernetze in der Kuppel blinkten auf, begannen zu glühen, sobald sie den Boden um den Stuhl herum und die darin liegenden Kontakte berührten. Von dem Stirnband an meinem Kopf wurden alle Aktivitäten meines Gehirns an ihn, weiter an die Kuppel und schließlich an die umstehenden Computer geleitet. Kontrolliert wurde alles von Jenkins.
Über einen Lautsprecher am Stuhl hörte ich meinen Vater.
„Gut, dann erkläre ich es dir jetzt. Erwarte aber bitte nicht, dass ich ins Detail gehe. Das ist mir nicht gestattet.“ Ich wollte aufbegehren, doch sofort setzte er hinzu: „Beruhige dich, Yves. Du wirst zufrieden sein. In Ordnung … Diese Firma gehört zu einem … Geheimbund. Du kennst diese Superheldencomics, Batman, Superman und all die anderen … Sie sind Fiktion, aber dieser Geheimbund hatte die Vision, einen solchen Helden zu erschaffen. Verhinderung von Katastrophen, wie das Aufhalten von entgleisten Zügen oder derlei Superkräfte … das alles war zu utopisch, einfach noch nicht im Bereich des technisch Möglichen. Deshalb beschränkte man sich darauf, einen Supermenschen zu schaffen, der aufgrund seiner Intelligenz und Effizienz die Machenschaften organisierten Verbrechens im Gesamtbild erkennen kann. Man wollte einen Menschen, der in der Lage ist, mehr als nur eins und eins zusammenzuzählen.“
Ich nickte. „Und weiter? Wer gehört zu diesem Geheimbund?“
„Ein paar namhafte Wissenschaftler, große Denker, man könnte sagen, es sind Leute, denen das Wohl und die Zukunft der Menschheit am Herzen liegen.“
„Oh, dann bin ich also das Projekt X einer Horde von Gutmenschen?“ Ich lachte spöttisch auf.
„So kann man es auch ausdrücken, ja.“
„Aber wieso gibt es dann diesen einen Typen, den ich beschützen soll? Wieso diese Spezialisierung? Und woher wisst ihr, dass es ein Kerl sein wird?“
Mein Vater schwieg, aber ich hörte sein Seufzen. Willkommen auf dem intellektuellen Schlachtfeld!
„Wie du weißt, bist du fast siebzehn Jahre alt. Das Projekt, dein Gehirn zu verbessern war also das ursprüngliche. Vor ein paar Jahren kam eine Erweiterung hinzu.“
Ich verzog das Gesicht. Die Gelenkoperationen. Schmerzhaft, grausam, unnötig. Oder nicht?
„Das mit dem … Schutz für diesen einen Menschen – wir wissen gar nicht, ob männlich oder weiblich, es hat sich nur eingebürgert, ‚er‘ zu sagen – beruht auf … Hoffnungen.“ Mein Vater holte tief Luft, als wäre ihm gerade etwas eingefallen. „Was würdest du sagen, und bitte antworte, ohne nachzudenken, welcher Charakterzug ist der wichtigste von allen, wenn man auf das Wohl der Menschheit bedacht ist?“
Ich dachte nicht nach. Die Antwort stand ebenso klar wie unumstößlich fest, bevor mein Vater seine Frage beendet hatte. „Unschuld.“
Das Geräusch, das unisono von Jenkins und meinem Vater zu mir drang, ließ mich kichern. „Was denn? Erstaunt es euch wirklich, dass ich Unschuld, ein reines Herz, als das höchste Gut ansehe?“
„Nein“, schnaufte mein Vater. „Aber damit hast du dir die Frage nach dem Warum selbst beantwortet: Du bist dazu in der Lage,
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