Duft der Unschuld - Tennington (German Edition)
fragte mein Vater.
„Das sage ich nicht. Jedenfalls ist er zurzeit in Sicherheit. Aber er ist auf der Flucht.“
„Vor wem?“
Ich schürzte die Lippen. „Ich muss ins Verlies“, sagte ich.
Das Verlies war ein Raum im hinteren Teil des Labors. Dort gab es einen ähnlichen Stuhl wie hier, jedoch ohne Kuppel und Messgeräte. Dafür stand ein riesiger Computerbildschirm dort, den ich über ein anderes Stirnband bedienen konnte. Allein mit den Wellen, die mein Hirn aussandte. An diesen Bildschirm war der größte Wissensschatz der Menschheit – das Internet – angeschlossen, dazu sämtliche Bibliotheken der Welt. Dort würde ich vielleicht endlich mehr über Etiennes Familie erfahren. Vielleicht die fehlenden Zusammenhänge erkennen.“
„Du kannst nicht ins Verlies.“
Ich fuhr herum, als Jenkins das mit fester, ruhiger Stimme sagte.
„Wieso nicht?“
„Du wirst offline bleiben, bis wir mindestens eine der geplanten neuen Hirnregionen in dir aktiviert wurde.“
Der Trotz erwachte wieder. Was bildeten sich diese unwissenden Wissenschaftler eigentlich ständig ein?
„Damit verhindert ihr, dass ich einen der großen Zusammenhänge für euch finde. Die Delaports jagen Etienne, weil sein Blut Leben schenkt. Sie wollen ihn … melken. Er war bis letzten Frühling auf der Flucht vor ihnen. Dann hat der Buchhändler bei uns in Tennington ihn aufgenommen und zu mir an die Schule geschickt.“ Meine Augen wurden zu schmalen Schlitzen, als ich sah, dass Jenkins und mein Vater sich einander zuwandten und anstarrten, bevor sie sich wieder zu mir drehten. „Ihr wisst doch was darüber!“
Mein Vater atmete tief durch, dann sagte er: „Zachary Grenders ist, genau wie jeder andere Einwohner von Tennington, kein Unbekannter für uns. Wir haben jeden überprüft.“
Das war nicht die ganze Wahrheit, ich sah es sofort, aber was sollte ich darüber lange diskutieren? Ich hatte keine Zeit, mich zu streiten. Außerdem fiel mir auf, dass sie gar nichts dazu sagten, wie Etiennes Blut wirkte. Glaubten sie mir nicht?
„Welche Region wollt ihr aktivieren?“, verlangte ich zu wissen. Vielleicht ging das schnell und ich konnte endlich ins Verlies?
„Das zweite Sprachzentrum“, sagte Jenkins. Ich blinzelte verwirrt. Es gab kein zweites Sprachzentrum im menschlichen Gehirn!
„Das Zentrum für obskure Kommunikation“, ergänzte der Doktor.
„Obskure …? Was soll das sein? Gedankenübertragung?“ Natürlich, was sonst sollte ‚dunkle Mitteilung‘ in Bezug auf Hirnaktivitäten sonst bedeuten? Mein Vater nickte. „Okay und wann soll das passieren?“
Meine Ungeduld brachte nicht nur mich auf die Palme. „Wenn wir es für richtig halten! Zuerst müssen wir herausfinden, was diese massiven Neurotransmitter in deinem Gehirn anstellen.“
Ich seufzte. „Nur um das jetzt mal klarzustellen: Etienne Delaport, der Mensch, den ihr für den schützenswertesten von allen haltet, wird gerade auf ausgesprochen brutale Art von seiner eigenen Familie gejagt. Das Netzwerk der Delaports erstreckt sich über die gesamte Welt. Wenn ihr wollt, dass ich kooperiere, werdet ihr jetzt sofort damit anfangen, die Delaports zu untersuchen!“
„Das tun wir bereits. Seit Monaten.“
Ich klappte den Mund auf und wieder zu.
„Komm, Yves, du musst etwas essen und dich ausruhen.“
„Wieso wisst ihr seit Monaten von den Delaports?“, brachte ich schließlich hervor. Natürlich ignorierte ich den Einwand meines Vaters. Ich hatte keinen Hunger und bereits auf der Fahrt geschlafen.
„Sag es ihm, Connor“, bat Jenkins und mein Vater nickte.
„Zachary ist einer unserer Mitarbeiter … Er ist schon eine Weile in Tennington, und seitdem auch du dort bist, passt er auf dich auf.“
Das verschlug mir tatsächlich die Sprache. Zachary arbeitete für meinen Vater?
„Nein, er arbeitet nicht für mich, sondern für die Organisation.“ Oh, anscheinend hatte ich vor Erstaunen laut gedacht!
„Zachary ist bei Etienne … und … na ja, Etienne hatte große Angst um ihn.“
„Unnötig, Zachary weiß, auf was er sich einlässt. Er hat früher für das MI5 gearbeitet.“
Ich schüttelte ruckartig den Kopf. War denn in den letzten Jahren überhaupt irgendetwas echt gewesen? Echte Menschen, echte Freunde, echte Mitschüler?
„Alles Lüge. Wieso ist um mich herum eine einzige Welt aus Lügen?!“ Ich rannte an beiden vorbei hinaus und wollte nichts mehr hören oder sehen. Ich machte mir solche Sorgen um Etienne, auch wenn diese offenbar
Weitere Kostenlose Bücher