Duftspur
anschließenden Eile. Mit dem Ford hat sich jemand richtige Mühe gegeben, der sah klasse aus. Ein Coupé, schätzungsweise Baujahr 1970, altweiße Lackierung, schwarzes Dach, Breitreifen auf Alufelgen. Ach Kalle, nicht hinter jedem Menschen, der es eilig hat, verbirgt sich eine verbrecherische Mission. Guck mich an. Ich übertrete die Höchstgeschwindigkeit auf der B 277, dass das Faltdach nur so rappelt. Vor mir blockiert ein Graukranz im lindgrünen Astra die Bahn und ich muss scharf bremsen. Nach einer Ewigkeit hat der notorische Linksfahrer, 70 Jahre unfallfrei, gemerkt, dass rechts von ihm auch noch eine Fahrspur frei ist und mit der Gemächlichkeit des Alters schleicht er sich rüber. Ich überhole zwei Reisebusse, Seniorenfahrt ›Alteisen‹ steht da allen Ernstes, und im Rückspiegel beobachte ich, dass der Ascona hinter mir dicht macht und den heranrasenden Ford ausbremst. Der hat bestimmt satte 220 PS. Noch drei Kilometer trennen mich vom Etappenziel. Die Ampeln schalten alle auf Grün, wenn mein kleines graues Geschoss auf sie zurast.
14
Herborn, hier war ich schon lange nicht mehr. Der überall um sich greifende Kreisverkehr hat auch dieses Städtchen mit seiner historischen Altstadt nicht verschont. Ich kenne mich nicht mehr aus. Der Bahnhof liegt im Zentrum, soviel weiß ich noch. Ah, prima, das Schild der dritten Ausfahrt weist in die richtige Richtung. Was nun? In der Eile entgeht einem bisweilen ein wichtiger Hinweis. Die Logik befiehlt mir links in die Bahnhofstraße einzubiegen. Nach insgesamt sechs Minuten Hetze bin ich am Ziel und parke vor der Bahnhofsgaststätte. Der Zug wird vermutlich schneller gewesen sein. Kaum stehe ich am menschenleeren Gleis, fährt der Zug wieder an. Hoffentlich ist sie ausgestiegen. Als der Zug den Blick auf alle Gleise frei gibt, sehe ich sie. Die Lady in Blue steht einsam da und ringt mit dem Tragegurt ihres Seesacks. Außer dem riesigen Sack hat sie nichts dabei. Sie ist sehr klein und tatsächlich völlig blau. Blaue Lippen, Nägel, Brauen, Hosen, Bluse, Flipflops und eine blaue Feder schlängelt sich durch zahlreiche Löcher im äußeren Rand ihres linken Ohrs. Die Haare sind nicht blau. Sie sind nämlich gar nicht vorhanden. Sie rückt sich stattdessen eine blaue Häkelkappe auf dem Schädel zurecht, nachdem sie umständlich den Gurt über ihren Kopf gezogen hat und der Seesack diagonal über ihrem Rücken bis in ihre Kniekehlen hängt. Ich winke und sie setzt sich in Gang.
»Hi«, sagt sie, »du musst Heiner sein.« Sie lässt den Gurt des Seesacks über ihre schmale Schulter gleiten, er plumpst hart auf den Boden. Gemütlich will sie sich eine Drum drehen. Ich dränge jedoch zur Eile, da ich männeruntypisch geradezu nachlässig, sperrig geparkt habe.
»Nu mach mal keine Panik«, sie schaut von ihren Blättchen auf und scheint hinter mir etwas wahrgenommen zu haben, was sie davon überzeugt, dass Panik doch die angemessene Reaktion ist. Sie rafft alles zusammen und mich gleich mit.
»Wo stehst du?«, bei jeder Silbe zieht sie mich am Ärmel.
»Gleich hier vorn.«
»Ich fahr!«
»Nein!«, protestiere ich, während wir zum Wagen rennen.
»Welcher?«
»Der Graue.«
»Passt zu dir.« Auch noch frech werden.
»Kannst ja zu Fuß gehen.«
»Hey, schon gut ...«, entgegnet sie außer Atem. Weniger rauchen, würde ich vorschlagen, wenn wir zu einen Wortgefecht Zeit hätten.
»Wir müssen so schnell es geht hier weg!«
Sie wirft ihren Seesack auf die Rückbank, springt auf den Beifahrersitz während ich eilig ausparke.
»Gib alles!«
Ich wüsste zu gerne warum. Die zwei Mustangreiter drängen uns dicht auf die Stoßstange und aus ihren Gesichtern ist keine Gesprächsbereitschaft zu lesen.
»Bullen?«, wage ich eine nicht ganz ernst gemeinte Frage.
»Nein. Ich weiß nicht, wer das ist. Echt nicht.« Klingt nicht überzeugend.
»Ich lass dich gleich an der nächsten möglichen Stelle raus. Ich habe hier gar nichts mit zu schaffen«, schrei ich lauter, als nötig und frage mich im Stillen, ob ich Alfons Telefonnummern bei mir habe.
»Ich doch auch nicht. Ich weiß wirklich nicht, was die von mir wollen, die sind schon ne ganze Weile hinter mir her«, jetzt weint sie. Ich habe blaue Tränen erwartet.
15
Mein vierzehnjähriges Wägelchen wird ganz schön rangenommen. Wir wursteln uns durch den Verkehr und ich beschließe, nicht die Autobahn zu benutzen, sondern die Strecke Richtung Westerwald, B 255. Gegen einen getunten Mustang hat
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