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Duftspur

Duftspur

Titel: Duftspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sinje Beck
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Heerscharen umstellten Festung. Ebenso sei noch ein Lagerfeuer vorzubereiten mit Fladen und Wildschweinbraten. Wir schlendern durch weitere Flure mit Fluss-, Gebirgs- und Tiernamen. Auch die Zimmer haben darauf abgestimmte Bezeichnungen, die sich ganz nach Höhenlage der Räumlichkeiten richten. Unten Flüsse und Seen, oben Vögel und Gebirge. Jörns Ausführungen schalte ich erst wieder bewusst zu, als er von Richard von Weizsäcker erzählt, der 1986 die Burg nach dem Umbau wiedereröffnet hat.
     
    »Es ist eine der zwei ältesten Jugendburgen weltweit«, verkündet Jörn stolz als hätte er sie selbst errichtet, während wir vor dem Schild ›Privat‹ kehrt machen. Ja, hier befänden sich seine Gemächer. Allzeit bereit, er grinst. Der Mann liebt seine Arbeit, das ist deutlich zu spüren. Ich erfahre noch vom Umgang mit bisweilen schwer erziehbaren Pädagogen, den wundersamen Umtrieben von Baumrednern, die ihre Gesprächspartner mit allerhand Tand im Wald aufsuchten, wobei nicht überliefert ist, was der Baum im Einzelnen darüber denkt, hier lacht Jörn amüsiert, und einer sicherheitstechnisch besonders aufwändigen Tagung von Schlafwandlern. Die Mitglieder einer Dyskalkulie-Selbsthilfegruppe wollten ihn gar mal um den Rechnungsbetrag betuppen. Er sei zwar ausgebildeter Sozialarbeiter aber deshalb noch lange kein vollkommener Idiot. Spannend sei auch jedes Jahr die Burgmauerklettertour und besonders unterhaltsam das Single-Wochenende. So wie jetzt gerade eines zu Ende gehe. Bei der letzten Schilderung blitzt es verschmitzt unter Jörns schmalen Brauen. Ja, er sei Single. Bisher habe sich kein geneigtes Burgfräulein gefunden und seit seinem 50. Geburtstag würde er auch nicht mehr dran glauben, dass ihm eine holde Maid begegne, die mit ihm alt werden wolle. Den Alfons kenne er aus seiner Zivizeit. Woher ich ihn kenne, möchte er wissen. Einer Antwort werde ich enthoben, denn Jörns Handy klingelt und sogleich eilt er redend davon, wendet sich noch einmal zu mir um und ruft: »Guck dir in Ruhe alles an. Bis dann.«
     

19
     
    Wo genau ich mich ablegen kann, ist bei dem Monolog nicht herausgekommen. Schon 50 ist Jörn, das hätte ich jetzt nicht gedacht. Meine ganz private Theorie, dass Ehejahre doppelt zählen, bestätigt sich mal wieder. Wo wollte ich eigentlich hin? Kalle gibt ohne Zögern ungeduldig die Antwort: zur Mauer runter. Suchend blicke ich mich um, denn irgendwas sagt meinem Nervensystem, dass ich es eilig habe. Mein Puls beschleunigt sich. Ich strebe dem Treppenhaus zu, lasse Gerapple und Gejauchze hinter mir und lande nach - ich weiß nicht - wie vielen Stufen in der Eingangshalle. Gezielt durchquere ich den Innenhof, passiere das innere Burgtor um dann zerstreut auf dem Platz, der Bastion genannt wird, betont unauffällig herumzuschlendern, auf dem vorhin noch der fleißige Handwerker einem Kollegen auf die Finger geklopft hat – haben soll. Ich bin mir ja selbst nicht sicher, was ich da von oben herab gesehen habe. Eine dunkle Kappe unter Grünzeug, vielleicht. Vielleicht hat aber auch der Dienst in der Behinderteneinrichtung meine Sinne zu sehr beansprucht und die drehen jetzt ihren eigenen Film. Ich beuge mich über die breite Mauer, die eine Art Schutzwall gegen herannahende Feinde darstellt und die gesamte Burg mit ihrem inneren und äußeren Burghof umschließt, an deren zwei Eckpunkten noch sichtbar zwei einzelne Türme stehen. Ui, geht das hier in die Tiefe, je weiter man sich um die Bastion herum bewegt, desto weiter ist der Boden von einem entfernt. Doch da ist auch ein kleiner Felsvorsprung erkennbar. Außer dem Gestrüpp darauf kann ich nichts entdecken. Nu guck doch mal richtig, beug dich weiter vor, noch ein Stück. Kalles anspornende Rufe haben mich schon einmal zum Absturz gebracht, doch damals handelte es sich lediglich um eine steile Treppe, die ich auf dem Bauch rutschend hinter mir ließ. Da ist nichts, ich sehe nur einen alten dunkelroten Turnschuh ein Stück weiter links im Geäst und es steckt kein Fuß darin. Als ich mich wieder aufrichte, beide Beine fest auf den Boden stelle, erschrecke ich mich fast zu Tode. Beim Herumschwenken pralle ich gegen einen stattlichen, festen Bauch. Vor mir steht Obelix und grinst. Wie konnte sich ein Dreizentnermann unbemerkt heranschleichen? Du musst deinen Verdacht der Polizei melden, schaltet sich der Advokat in mein Gedankenchaos. Zum Erzfeind gehen, mit einem alten Turnschuh, ohne Leiche? Wozu? Ich habe kein Verbrechen gesehen. Doch,

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