Duftspur
mit dem Finger die Straße hinab. Wie der Graf von Monte Christo sei der vorherige Bewohner des Hauses damit beschäftigt gewesen, das Kellerloch in der Erde zu vergrößern. Für seine, Michaels, Zwecke sei das alles gut geeignet. Welche Zwecke das nun sind, darüber sagt er nichts. Das Haus stünde leer, denn der Bewohner sei jetzt tot.
»Im Keller verschüttet?«, frage ich.
»Bei einer Bergtour im Schwarzwald abgestürzt. – So kann es gehen ...«, sinniert Michael vor sich hin. Wir nicken beide, als wären wir einverstanden mit der Tatsache der Unabwägbarkeit des Lebens. Zwei Schweigemomente später verabschieden wir uns, nachdem Michael mir den Weg ins Büro der Jugendherbergsleitung beschrieben hat. Es ist immer noch genügend Zeit bis zu meiner Verabredung mit dem Burgherrn.
Ich begebe mich entgegen dem Uhrzeigersinn auf die alten Pfade um die dicken Mauern herum. Ein sachter, den Sommer verkündender Wind umweht die Flagge an der Turmspitze. Es scheint ein wundervoller Abend zu werden, mit sternenklarem Himmel und eingebauter Lagerfeuerromantik.
Im umgebenden Wald sammeln Jungs Brennholz, bewerfen sich mit Tannenzapfen und zwei Dreikäsehochs rauchen heimlich hinter einer alten Buche. Ich wandle weiter auf den Spuren, die vor mir ein Transporter in den feuchten Waldweg gedrückt haben muss. Kaum ist der Gedanke zu Ende gedacht, endet auch schon der Weg und ich stehe tatsächlich vor den offenen Heckklappen eines VW-Busses, auf dessen Ladefläche allerlei Werkzeug und Gerümpel liegt. Auf den Vordersitzen kann ich zwei männliche Gestalten wahrnehmen, die sich gedämpft unterhalten.
»Und, hast du das Zeug?«
»Nee, sie war es nicht.«
»Wie, sie war es nicht. Wer denn dann?«
»Nur ein Typ. Keine Ahnung ob der was weiß. Ich schätze eher mal nicht.«
»Wie, du schätzt ...«
»Es deutete nichts ...«
»Klappe jetzt, da kommt jemand.«
Eine kleine Gruppe Kinder jagt um die Ecke, aus der Ferne höre ich noch den Rest eines Reims ... alles muss versteckt sein.
Mir ist, als sollte ich es den Kindern gleich tun und mich verdrücken. Eine der beiden Stimmen aus den Büschen klang Michaels ähnlich. Auf leisen Sohlen mache ich mich dünne, im wahrsten Sinne des Wortes, da ich nicht in den Rückspiegel der Männer geraten will. Ich drück mich an einer Mauer längs durchs Gebüsch und stoße am Ende des bröckligen Schutzwalls auf eine kleine Lichtung und ein knutschendes Pärchen. Sie schreit spitz auf, er schimpft mich einen Spanner, ich mime den Verwirrten, darauf verstehe ich mich aufgrund intensiven Trainings als 16-Jähriger, dann sage ich noch ›Weitermachen‹, bevor ich mich ruckzuck durch das nächste Gestrüpp schlage und auf dem Weg zum Parkplatz lande. Erleichterung macht sich in meiner Brust breit. Hier ist doch was faul, murmelt ein aus dem Schlaf erwachendes Stimmchen, das ich freundlich aber doch verhalten begrüße. Hi, Kalle, schlaf weiter. Gib bloß Acht, warnt der kleine Detektiv in mir, ich spür es im Urin, mit den Kerlen stimmt was nicht. Jugendlicher Übereifer, dimme ich ihn herab. Na dann, murmelt er müde, wenn du mich brauchst, ich könnte hier als Knappe auftreten, inkognito. Ist gut, Kalle.
Nun ist es Zeit Jägers Büro aufzusuchen. Durch den inneren Burghof gelangt man zum Haupteingang. Die schwere Holztür fällt hinter mir ins Schloss. Von drinnen klingt Kindergeschrei an meine Ohren. Ich begebe mich durch den Empfangssaal. Eine Ritterrüstung begrüßt die Neuankömmlinge. Gleich in deren Nähe sagt einem ein Spruch die Wacht an: Tausendjähriges Gemäuer, wer ihm schadet dem wird’s teuer. Eine niedrige Tür verweist auf ein Gewölbe, der Gang geradeaus führt zum Büro. Ein Schild schickt mich in die richtige Richtung und nach einigen Schritten stehe ich vor einer moderneren Glastür mit der Aufschrift daneben: Burgherr. Eine handgeschnitzte Tafel mit Sütterlinlettern. Am zugestellten Schreibtisch hinter der Tür ist niemand, doch von dem Räumchen aus gehen weitere Türen ab. Das ist bestimmt ein ganz schön verwinkelter Bau. Ich gehe rein und klopfe an die nächste Tür, hinter der ich jemanden sprechen höre. Aus dem Türspalt dringen bruchstückhaft Wörter, hauptsächlich Fragewörter und knappe Antworten, die letzte scheint Nein zu lauten, gefolgt von: Regel das! Wenn das andere mal nicht die zweite Stimme aus dem Bus war, will ich Elfriede heißen, murmelt Kalle. Ich klopfe. Etwas unwirsch ruft jemand:
»Herein, wenn’s kein Henker ist.«
»Nee,
Weitere Kostenlose Bücher