Duke - Ein weiter Weg zurueck (German Edition)
ich im Auge behalten hatte, und ich hatte nicht auf meine Intuition und meine enge Verbundenheit mit Fly gehört.
Zunächst war es mir egal gewesen, was zum Unfall geführt hatte. Nur das Ergebnis zählte: tot. Je weiter ich fortgegangen war, desto mehr beschäftigte mich die Frage, was genau an jenem Tag passiert war. Doch je angestrengter ich versuchte, mich zu erinnern, desto weniger konnte ich es. Hatte ich tatsächlich mit meinem ausgedehnten langen Geländeritt die Beine von Fly so sehr belastet, dass bei der Landung nach dem Sprung eine Sehne oder ein Band gerissen war? Hatte es eine Autopsie seines Körpers gegeben, um die Ursache des Unfalls zu klären? Schließlich waren wir nicht das erste Mal auf Doping getestet worden. Wir verdankten unseren Erfolg gerade dem beständigen Training, das eben nicht nur aus Springrunden in einer Halle oder auf einem Platz bestanden hatte. Nie war Fly auf den Beinen schwach gewesen. Ganz im Gegenteil, die Stärke seines Körpers war ja überhaupt erst der Grund für meine Überzeugung gewesen, dass Fly genau das richtige Pferd für mich war. All die Grübeleien führten zu nichts. Es gab nur einen Menschen, der mir wenigstens ein paar Fragen beantworten konnte, und der lag verwirrt im Krankenhaus.
Und dann Duke. Natürlich war es mir nicht egal, was mit ihm passierte. Aber ich war nicht gut für ihn. Ich hatte das Blut seines Bruders an meinen Händen kleben. Kein Pferd durfte mir jemals wieder vertrauen. Ich verdiente kein Vertrauen. Im Grunde war ich schlimmer als der Trainer, der ein Pferd auf dem Platz schlug, denn ich glaubte besser zu sein und Rücksicht auf die Pferde zu nehmen. Dabei beutete ich sie aus, verriet sie in dem Moment, wo sie mich am meisten brauchten. Nein, es war besser für Duke, wenn ich ihm nicht zu nahe kam. Henning lag falsch. Er glaubte, ich würde aus Selbstmitleid so handeln oder gar aus Angst. Aber ich tat es, weil es das Sicherste für Duke war.
„Stefan hatte Recht, du hast dich verändert.“ In mir kochte wieder die Wut hoch. Das war nicht fair gewesen. Natürlich war ich nicht mehr die Vera von früher. Wie auch, wo ich alles verloren hatte, was mir jemals im Leben wichtig gewesen war. Von einem Moment auf den anderen war meine ganze heile Welt zusammengebrochen. Was erwarteten sie von mir? Dass ich mich schütteln und einfach die Achseln zucken würde, um mich dann auf das nächste Pferd zu schwingen? Ich war nicht so stark, wie alle dachten. Einmal in meinem Leben hatte ich das Recht, schwach zu sein. Aber gestern war etwas mit mir passiert. Egal, wie sehr ich es zu verdrängen versuchte. Ich schloss die Augen, rollte mich zusammen, umfasste meine Beine. So sehr mich die Erinnerungen schmerzten, ich fühlte mich am richtigen Platz. Hier war mein zu Hause, und es gab keinen Ort auf meinen ganzen Reisen, der mir so sehr das Gefühl gab, wieder ich selbst zu sein. Irgendwann hörte das Zittern in mir auf. Mein Schutzwall hatte einen gewaltigen Riss bekommen.
Das Knurren meines Magens trieb mich aus dem Bett. Ich hatte seit dem gestrigen Frühstück nichts mehr gegessen. Ich zog einen Pullover über meinen Schlafanzug, band mir die Haare locker zu einem Knoten, zog dicke Strümpfe an und tapste die Treppe hinunter. Dann blieb ich stehen, von unten aus der Küche drangen Stimmen hoch. Papa. Mein Herz klopfte, hatte sich Papas Zustand verschlechtert? Ich schlich näher an die Tür, lauschte und erkannte die beiden Stimmen. Die eine gehörte Mama, die andere Henning.
„Lässt es sich wirklich nicht verschieben?“, fragte Mama leise.
„Nein. Ich muss rüber fliegen, es geht nicht anders.“
„Aber was machen wir jetzt?“
„Ich habe heute Morgen schon mit Ingrid telefoniert. Ich denke, dass Lasse noch mal für zwei, drei Wochen rüberkommen kann.“
Mama seufzte.
„Vielleicht war es doch etwas voreilig von dir, diesen Trainer zu entlassen. Thomas ist vor Ende der Woche nicht zurück, und Melanie ist nur vier Tage in der Woche da. Wer soll sich um all die Tiere kümmern?“
Mein Magen krampfte sich zusammen.
„Tim Wagner kann froh sein, wenn ich ihm keine Klage an den Hals schicke. Aber eines ist klar, der wird so schnell nicht wieder als Trainier irgendwo anfangen, dafür sorge ich.“ Wegen seiner letzten Bemerkung verzieh ich ihm ein wenig seine harten Worte mir gegenüber. Dennoch war ich böse auf ihn. Es entstand eine Pause, dann hörte ich wieder Hennings Stimme.
„Wie gesagt, erst mal kommt ja Lasse. Und bis der da
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