Duke - Ein weiter Weg zurueck (German Edition)
Arbeit gewesen, dass ich jedes Zeitgefühl verloren hatte. Ich ging zur Tür und öffnete. Für den Bruchteil einer Sekunde setzte mein Herz aus. Da stand nicht Henning, sondern Thomas Sander.
In mir stiegen gemischte Gefühle auf. Das letzte Mal, wo wir miteinander gesprochen hatten, waren wir im Bett gelandet. Doch das war eine Ewigkeit her, und damals war ich eine andere Vera gewesen. Weder im Krankenhaus, noch in der Zeit meiner Reha war Thomas jemals aufgekreuzt. Ein Blumenstrauß, eine Karte waren alles an Nachrichten gewesen, die von ihm eintrafen. Ich verstand seine Feigheit nicht, mir gegenüberzutreten, und sein Verhalten verletzte mich. Thomas war eine offene Wunde für mich, etwas dass ich nie endgültig hatte verarbeiten können.
Dieses unvorbereitete Zusammentreffen verunsicherte mich mehr, als mir lieb war. Thomas sah mich mit großen Augen an, sein Gesicht verlor jede Farbe. Er schien genauso überrascht zu sein wie ich es war. Obwohl es mir hätte klar sein müssen, dass wir uns irgendwann über den Weg laufen würden. Ich verschränkte die Arme vor der Brust. Thomas’ Blick glitt über mich. Mir stieg die Röte ins Gesicht. Mein Aufzug in einer alten Jogginghose sowie einem T-Shirt von dem letzten Hotel, in dem ich gearbeitet hatte, war mir peinlich. Ein Gefühl, das mich ärgerte, schließlich war ich hier zu Hause. Allerdings hätte der Unterschied zwischen ihm und mir nicht größer sein können. Er trug ein gebügeltes Hemd, eine Hose aus feinem Stoff. Alles strahlte Exklusivität und Eleganz aus. Die Krawatte fehlte, und am Hemd waren oben zwei Knöpfe geöffnet. Ein Zugeständnis, weil er sich zu Hause befand, vermutete ich. Seine Haut war gleichmäßig gebräunt. Sein Haar wie immer glatt und sorgfältig geschnitten. Er besaß eine zierliche, schlanke Gestalt, im Gegensatz zu seinem älteren Bruder. Die Augen waren so braun, wie die von Henning, allerdings ohne die Lebendigkeit darin. Seine Nase, die Wangenknochen, die fein geschwungenen Lippen, die zierlichen Ohren, alles perfekt aufeinander abgestimmt. Er kam mit seinem Äußeren nach Julia Sander, die es durchaus mit jedem Model aufnehmen konnte.
„Vera“, es klang tatsächlich überrascht, „seit wann bist du hier?“ Für einen kurzen Augenblick senkte er den Blick. Seine rechte Hand fuhr zu seinem Kinn, rieb darüber, als müsste er sich versichern, dass sich die Haut glatt anfühlte. Ich wusste, dass diese Geste bei ihm ein Zeichen von Unsicherheit war.
„Hallo, Thomas.“ Ich war froh, dass meine Stimme funktionierte. Lässig versuchte ich, mich an die Haustür zu lehnen, und verlor fast das Gleichgewicht. Ein schwaches Lächeln huschte über Thomas’ Gesicht. Wir standen uns gegenüber, schweigend. Ich rief mir ins Gedächtnis, dass er inzwischen ein verheirateter Mann war. Mein Blick rutschte unbewusst zu seiner rechten Hand, an der sich ein Goldring befand. Es war eine lange Zeit vergangen. Thomas stand noch immer wie angewurzelt auf seinem Platz. Ich fragte mich, wie ich ihn begrüßen sollte. So wie früher mit einer Umarmung, mit einem freundschaftlichem Boxen an seinen Arm oder mit einem förmlichen Händeschütteln wie unter Fremden? Er schien nicht weniger unsicher zu sein. Schließlich ging er einen Schritt auf mich zu, hob die Hand, als ob er mir die Hand reichen wollte, überlegte es sich anders und schob beide Hände in die Hosentasche. Verlegen sah er auf den Boden. Dass er sich genauso unwohl fühlte wie ich, entspannte für mich die Situation. Ich wartete darauf, dass er seine Sprache wiederfand.
Er wich ein Schritt zurück. Räusperte sich. „Ich wusste gar nicht, dass du da bist. Niemand hat etwas gesagt.“ Er schwieg, offenbar verwirrt. „Im Stall ist niemand, wo sind die anderen?“
„Melanie ist mit Lasse nach Hause gefahren. Es wusste keiner von uns, dass du kommst. Das hat uns niemand gesagt“, antwortete ich ihm spitz. „Wolltest du noch Dumont reiten? Dann füttere ich die Pferde heute später.“ Mein Blick wanderte nun genauso abschätzig über sein unpassendes Outfit, wie seiner kurz zuvor über meines. Er wurde tatsächlich rot. Dann schienen meine Worte bei ihm anzukommen.
„Nein, ich wollte eigentlich nur mit Tim Wagner sprechen, über den Trainingsstand von Dumont und Dawinja sowie über die Planung für die nächsten Tage.“ Er schwieg, kniff die Augen zusammen. „Du fütterst die Pferde, und was ist mit Lasse?“
„Ja, ich helfe im Moment aus, genauso wie Lasse. Der war so
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