DuMaurier, Daphne - Plötzlich an jenem Abend
nichts; natürlich spielte sie dabei in keiner Weise auf ihre noch unverheiratete Tochter Helen an. Oh, sie drängte niemanden! Vielleicht würde er nächstens mal mit ihr segeln gehen… Mrs. Ferguson peilte schon lächelnd einen anderen Clubgast an. Früher oder später würden ihre Töchter ja ohnehin unter die Haube kommen, hübsch und amüsant wie sie waren. Eine wundervolle Frau, diese Mrs. Ferguson!
Die Mädchen saßen inzwischen drinnen im Clubhaus beim Tee und steckten die Köpfe zusammen. »Mrs. Marshall trägt noch immer das Kleid vom vorigen Jahr«, tuschelten sie. »Es ist nur umgefärbt und ein bißchen anders garniert. Wie findet ihr das?« Ohne Unterlaß verfolgten ihre Glitzerblicke die Gäste. »Guckt mal, wie die da flirtet! Ihr Benehmen spricht Bände« – »Na, bei den beiden klappt es nun wohl endlich – lange genug hat's ja gedauert!« – »Ach wirklich? Was du nicht sagst!«
Sie lachten hochmütig und ruckten die Schultern wie kampflustige Vögel, die ihr Gefieder sträubten. Doch kaum ging der junge Shipton mit einem Bekannten vorüber, so änderte sich ihre Haltung. Eben noch einmütig in ihren vernichtenden Urteilen, wurden sie jetzt in Sekundenschnelle zu giftigen Feindinnen und fuhren einander in Gedanken an die Gurgel. Doch der junge Shipton warf ihnen nur ein nichtssagendes Kompliment zu und ging mit seinem Freund weiter. Er war sich seiner Macht voll bewußt…
Die Sonne schien, das Meer funkelte, die Blechkapelle spielte mit Hingabe, wenn auch eine Spur zu schleppend. Kurzum, Maltby war en fête.
»Welch ein gelungenes Fest! Was für ein herrlicher Tag!« riefen alle laut durcheinander; doch dazwischen zischelten die unermüdlichen Lästerzungen: »Was hat die da drüben eigentlich auf dem Kopf? Einen Teewärmer?« Oder: »Da scheint sich was anzuspinnen. Er ist den ganzen Nachmittag nicht von ihrer Seite gewichen.«
Nur Mr. Ferguson drehte dem Treiben der Clubgäste hartnäckig wie immer den Rücken zu und beobachtete das gewöhnliche Volk unterhalb der Terrasse, wobei er gedankenverloren an seiner Zigarre sog.
Direkt unter ihm stieß soeben ein Boot randvoll mit Ausflüglern vom Landesteg ab. Ferguson erkannte den Krabbenfischer Sam Collins mit seiner Familie, die vollzählig und im Sonntagsstaat erschienen war. Die Kinder hüpften kreischend auf den Planken, drängten sich auf den Bänken und plätscherten mit den Händen im Wasser. Am Heck saßen Sams Frau mit ihrer Schwester, und ihr Geplapper unterschied sich nur wenig von dem der feinen Leute oben: »… und ich sag dir, is ja einfach schaurig, wie die rumläuft, mit den Haarfransen übers ganze Gesicht und angemalt wie nur was; also so was hast du noch nicht gesehen…«
Sam saß auf der mittleren Ruderbank, beide Riemen fest in der Hand. Sein bester Anzug behinderte ihn merklich; am liebsten hätte er Jackett und Weste sofort wieder ausgezogen. Der Lärm und das Gewimmel ringsumher waren ihm ein Greuel. Sein Sinn stand nach ganz anderen Dingen. Betrübt beobachtete er die vielsagenden kleinen Wasserwirbel und Fontänen nahe der Hafenmündung und dachte: »Heute springen die Makrelen. Gutes Fangwetter…«
Aber niemand beachtete ihn. Oder doch? Plötzlich hörte er ein leises Glucksen über sich. Er blickte auf und sah den Bankdirektor an der Balustrade der Clubterrasse lehnen. Sam kriegte einen roten Kopf und entschloß sich dann zu einem etwas dümmlichen Lächeln, das Ferguson aufmunternd erwiderte. Beide sahen zur Hafenausfahrt, beide seufzten, und dann zwinkerte Ferguson – ja, tatsächlich, er zwinkerte dem Krabbenfischer Sam zu, als teilten sie ein Geheimnis miteinander.
»So ein Strohkopf«, dachte der junge Shipton, der Ferguson gerade von hinten beobachtete, »sterbenslangweilig.«
Richard Ferguson saß am Schreibtisch in dem kleinen Privatbüro, das ihm als Geschäftsführer der Western Bank von Maltby zustand. Seine Akten lagen seit längerer Zeit unberührt vor ihm; er trommelte leise mit den Fingern aufs Knie. Es hatte keinen Zweck; er konnte sich nicht mehr auf die gewohnte Arbeit konzentrieren. Nicht daß er sich krank fühlte – weit entfernt! Ihm war sein Leben lang nicht wohler zumute gewesen als heute.
Nein, sein Gesundheitszustand war »ohne Befund«, wie die Ärzte zu sagen pflegten. Aber er fühlte sich sonderbar, äußerst sonderbar. Ihn beschäftigte etwas Unerklärliches, ein Gefühl, das seit Wochen – nein, seit Monaten – beharrlich heranwuchs: das Gefühl, nichts im Leben sei
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