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DuMaurier, Daphne - Plötzlich an jenem Abend

DuMaurier, Daphne - Plötzlich an jenem Abend

Titel: DuMaurier, Daphne - Plötzlich an jenem Abend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unknown
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prahlerischem Ton wieder anfing: »Mit ihm würd ich sogar 'ne Fahrt nach Amerika riskieren. Und wenn's nicht mit dem Teufel zugeht, brauch ich nich mal einen Eimer Wasser zu schöpfen. Sehen Sie sich doch den Mastbaum an. Sehen Sie auf die Dauben. So was Solides wird heutzutage gar nicht mehr gebaut.«
    Wieder ein kurzes Schweigen. Dann sagte Ferguson:
    »Ich habe den Kajütenschlüssel, Sam. Gehen wir doch mal hinunter…« Er sah dabei ängstlich über die Schulter – wie ein Junge, der die Schule schwänzt.
    Sie kletterten vorsichtig über den wackligen, glitschigen Steg an Deck. Ferguson stampfte mehrmals auf die Planken. »Felsenfest«, beteuerte er. Der Krabbenfischer stieß sein Messer in den Mast. »Kernholz. Muß bloß 'n bißchen abgeschmirgelt und gefirnißt werden.«
    Gemeinsam wuchteten sie die verschmutzte Persenning von dem Zugang zum Steuerhaus. Nach zwei, drei Stufen zückte Ferguson einen Schlüssel. Die untere Tür quietschte und knarrte jämmerlich, ging aber schließlich auf, und die beiden starrten gespannt in die alte Kajüte. Sie enthielt zwei längliche Kojen, eine an jeder Seite, und einen Klapptisch in der Mitte. Ferguson spähte in jedes Wandgelaß, während Sam das verstaubte Oberlicht hochstemmte. Ab und zu warfen sie einander eine sachliche Bemerkung zu, ohne eine Antwort zu erwarten.
    »Komisch – fast gar nicht feucht. Nach so langer Liegezeit.«
    »Und ganz schön geräumig. Sollte man von außen gar nicht glauben. Auf dem würd ich lieber schippern als auf den großkotzigen neuen Pötten.«
    Sie gingen hin und her, begutachteten und befingerten alles und prüften den Zustand der Kojen. Sam entdeckte unter dem Tisch einen Kasten voll alter Seekarten. Er blätterte sie durch, wobei er immer wieder seinen schwärzlichen Daumen mit der Zunge befeuchtete.
    »Wie lange würde es dauern, das Boot wieder in Form zu bringen?« fragte Ferguson schließlich und sah zur Kajütentreppe, um Sams Blick zu vermeiden.
    Sam hüstelte diskret. »Das geht im Handumdrehen, soviel ich sehe. Mast und Deck abspänen und 'n neuer Anstrich. Das Boot wär in Null Komma nichts aufzumöbeln. Könnt ich selber machen, ohne Hilfe.« Er putzte sich umständlich die Nase. Ferguson pfiff unschlüssig und verlegen vor sich hin. Dann stieg er wieder an Deck. Sam folgte ihm, nachdem er das Oberlicht geschlossen hatte. Sie verschlossen auch die Tür und zogen die alte Persenning über die Luken. Am Ufer standen sie still und starrten auf das Boot. Mittlerweile hatte sich die Sonne hinter die Anhöhen gesenkt, und die zurückkehrende Flut kroch durch die Schlammrinnen. Auf dem Wasser kräuselten sich goldene Muster, und die Luft erstrahlte plötzlich in goldrotem Abendschimmer.
    Eine Möwe schwebte lautlos mit ausgebreiteten Schwingen heran und setzte sich auf die nackte Mastspitze. Die beiden Männer seufzten und lächelten. Jeder erriet in diesem Moment die Gedanken des anderen.
    »Ich glaube, das Boot steht alles durch, auch das schwerste Wetter«, sagte der eine. Vergessene Harmonien des Himmels und der See: Knarren, Klatschen und Rattern der Takelage… Weiße Gischt, weiße Wolken. Die offene Welt. Allein. Endlich allein.
    »Aye, Sir… Das würde segeln! Was heißt segeln… Fliegen wie 'ne Möwe würde es!«
    Die steigende Flut brachte prickelnden Salzgeschmack mit. In ihrer Phantasie bockte die Ruderpinne wie ein störrisches Pferd, doch das Schiff tanzte durch die Wogen und schüttelte sich vor Lachen wie etwas Lebendiges… Kein Land mehr in Sicht! Nur der wilde, singende Wind.
    Ein ferner Klang tönte durch die Dämmerung. Sam wandte horchend den Kopf. Ferguson schloß sogar die Augen. Da war wieder der verführerische Ruf eines auslaufenden Schiffes, das den Hafen verließ – wohin?
    Sam beugte sich linkisch vor, um den verblaßten Namen des Bootes zu buchstabieren. »A-di-eu… Sag-esse… Offen gestanden, Sir, da draus bin ich nie schlau geworden. Was soll denn das heißen?«
    »Sagesse ist das französische Wort für Weisheit, Sam. Und Adieu bedeutet: Leb wohl, Gott mit dir.«
    »Is schon komisch, was diese Ausländer sich alles ausdenken. Man soll rein unklug werden; das wollte er ja wohl damit sagen. Na ja, der arme Kerl hatte ja sowieso 'n Sparren. Immerhin…« Sam überlegte sich die Sache ernsthaft. »Irgendwie klingt's nicht schlecht.«
    Ferguson lächelte still in die rasch tiefer werdende Dunkelheit. Er fühlte sich jung und mit sich im reinen. Er hätte schon jetzt ganz Maltby aus einsamer

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