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DuMaurier, Daphne - Plötzlich an jenem Abend

DuMaurier, Daphne - Plötzlich an jenem Abend

Titel: DuMaurier, Daphne - Plötzlich an jenem Abend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unknown
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in überreifem Alter – an der Schwelle der Welt, die er sich von Jugend an erträumt hatte.
    Er lachte leise. Ja, er war alt – aber was scherte ihn das? Der Rest des Lebens gehörte ihm.
    Dieser letzte Abend im trauten Heim war typisch für die vergangenen Jahrzehnte. Eben fiel ihm ein, daß Reverend Travers heute zum Dinner eingeladen war. Er konnte sich schon im voraus die Gruppe um den erlesen gedeckten Tisch vorstellen. Helens neues Kleid. Das ängstliche Schnaufen des Dienstmädchens, das die Schüsseln formvollendet herumreichen mußte. Das vornehmste und doch ungezwungenste Haus der besseren Gesellschaft von Maltby!
    »Himmel, ihr könnt es behalten, werdet selig damit!« hätte er beinahe laut hinausgeschrien, doch legte er schweigend den Rest des Weges zu seiner »Kastanienvilla« zurück.
    Adieu Sagesse… Beim Eintritt in die Diele schallte ihm bereits das Gelächter seiner Frau aus dem Salon entgegen. Seine Töchter hatten dazu das neue Grammophon lautstark angedreht. Auf dem Garderobentisch lag der schwarze Hut Hochwürden Travers'. Ferguson betrachtete ihn einen Moment mit vergnügt funkelnden Augen, bevor er unerschrocken seinen Weg in den Salon fortsetzte. Heute würde er sich zum ersten und letzten Mal in seinem eigenen Haus amüsieren.
    »Da bist du ja, Richard!« rief Mrs. Ferguson. »Wo in aller Welt hast du denn so lange gesteckt? Wir warten bloß noch auf den Dinner-Gong. Und du wußtest, daß wir heute Mr. Travers zu Gast haben.« Sie sah ihren Ehemann mit strafendem Stirnrunzeln an.
    »Freilich, das wußte ich. Eben deshalb komme ich erst im letzten Moment«, erwiderte Ferguson heiter.
    Mrs. Ferguson schnappte hörbar nach Luft. Die Töchter ließen sogar das Grammophon im Stich, um ihren Vater verdutzt anzustarren. Was den Ehrwürden Travers betraf, so überbrückte er die Pause nach alterprobter Gewohnheit, indem er erst einmal sein Taschentuch zog und sich ausgiebig schneuzte. Er mußte sich sammeln. Dieser elende Mensch hatte offenbar schon wieder einen in der Krone! »Guten Abend, wie geht's, Ferguson?« erkundigte er sich alsdann sanftmütig, als hätte er die unpassende Bemerkung seines Gastgebers gar nicht gehört. »Wir haben uns zu meinem Bedauern letzthin nicht oft gesehen, außer natürlich beim Sonntagsgottesdienst.«
    »Ach ja, in der Kirche«, sagte Ferguson mit harmlosem Lächeln. »Ich weiß nicht, ob's am Wetter liegt oder an den besonders schönen Chorliedern, aber die letzten drei Sonntage habe ich in der Kirche sanfter geschlummert als je zuvor. Du übrigens auch, meine Liebe«, wandte er sich plötzlich an seine Frau. »Ich glaube zum erstenmal nicht deine glockenreine Stimme, sondern nur Mrs. Druce über dem allgemeinen Singsang gehört zu haben.«
    Mrs. Ferguson wurde dunkelrot, und die drei Töchter hüstelten. Reverend Travers bückte sich und streichelte etwas unmotiviert den ebenfalls anwesenden Spaniel.
    Glücklicherweise ertönte in diesem Moment der Gong. Die erregte Hausfrau konnte ihre Gefühle dämmen, indem sie ihren Ehrengast und die Familie ins Speisezimmer führte.
    Auf dem Weg zu seinem Platz warf der Geistliche einen unauffälligen Blick zur Anrichte. Seine Befürchtungen bewahrheiteten sich. Schon jetzt war die Whisky-Karaffe halb leer. Sein Gastgeber – ohnehin sichtlich am Rande des Delirium tremens – hatte zweifellos überall seine stillen Reserven. Die Tischrunde nahm Platz. Alle waren etwas nervös und gezwungen, mit Ausnahme des Hausherrn, der nie im Leben ein fröhlicheres Gesicht gemacht hatte.
    Die Suppe wurde in tiefster Stille serviert. Offenbar scheute sich jeder, als erster das Wort zu ergreifen. Lange Minuten vergingen. Die Löffel- und Schluckgeräusche wurden überlaut.
    Erst gegen Ende der Mahlzeit erinnerte sich der Geistliche an seine schwere Pflicht, der Gemeinde und dem Jachtclub die erwartete Erklärung für Richard Fergusons… nun, abweichendes Verhalten zu liefern.
    »Es berührt mich zuweilen sonderbar«, begann er, während er sorgsam einen Pfirsich schälte, »wie die Jugend unserer Stadt sich zusehends verändert. Ich fürchte, sie verwildert. Außer an Äußerlichkeiten scheint sie an überhaupt nichts mehr zu denken. Als ich heute beispielsweise die Hauptstraße entlangging, kamen mir ein paar Ladenmädchen wie… hm, aufgeputzte Mannequins vor. Alles nach der neuesten Mode – offenbar. Dazu gepudert und geschminkt. Man könnte fast an ihren anständigen Grundsätzen zweifeln.«
    »Oh, Mr. Travers«, unterbrach

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