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DuMaurier, Daphne - Plötzlich an jenem Abend

DuMaurier, Daphne - Plötzlich an jenem Abend

Titel: DuMaurier, Daphne - Plötzlich an jenem Abend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unknown
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weiteren Whisky zur Beruhigung seiner Nerven bestellen mußte. »Wenn man sich vorstellt, daß ein angesehenes, scheinbar gottesfürchtiges Mitglied unserer Gemeinde solch ein Schurke ist, sich zu Tode säuft und auf hinterhältige Art unsere Jugend verdirbt – und, wie es scheint, sich ein altes Wrack wieder herrichtet, um es für unmoralische Zwecke zu mißbrauchen. Welche Verworfenheit!«
    »Ja, aber was sollen wir dagegen tun?« fragte der Sekretär und reckte die Nase in die Luft.
    »Was sonst, außer daß wir ihn stellen und es ihm auf den Kopf zusagen«, knirschte der Oberst.
    »Vielleicht sollte ich mich mal um das Mädchen kümmern und die Wahrheit aus ihr herausfragen.« Der Sekretär bot seine Dienste ein bißchen zu eilfertig an, und die Antwort des Geistlichen ließ nicht auf sich warten.
    »Keinesfalls!« dröhnte er mit aller Macht seiner Persönlichkeit. »Nicht so überstürzt. Das unselige Ding könnte einen Skandal entfachen, der ganz Maltby ins Gerede bringt. Wollen wir das?«
    »Nein, nein – natürlich nicht«, versicherten die anderen hastig, und Oberst Strong fügte markig hinzu: »– denn, wenn ich etwas hasse, so ist es jegliche Art von ehrenrührigem Klatsch.«

    Wenn die Mitglieder des berühmten Jachtclubs von Maltby sich die Mühe gemacht hätten, genauer nachzuforschen, so hätten sie längst entdeckt, daß der alte Bankier sich in den letzten Wochen angewöhnt hatte, nach den Dienststunden jeden Abend hinter verschlossener Tür im Büro zu bleiben und in den alten Büchern, Dokumenten und anderen Papieren zu blättern. Dies war, milde ausgedrückt, verdächtig. Falls er nicht heimlich mit den ihm anvertrauten Wertpapieren seiner Bankkunden spekulierte, bereitete er womöglich einen anderen Coup oder gar seine Flucht mit der gesamten Kasse vor.
    War es denkbar, daß ausgerechnet Richard Ferguson, der langweiligste, farbloseste Mensch von Maltby, sich als Betrüger, Schwindler, kurz als Verbrecher übelster Sorte entpuppte? Es sah sehr danach aus. Und doch: Wenn Maltbys Tugendwächter sich hätten unsichtbar machen können, um sich in Fergusons Büro zu schleichen und ihm über die Schulter zu sehen, wären sie verblüfft und ratlos gewesen. Denn statt fremder Aktien und Kontoauszüge prüfte er nur den genauen Stand seines eigenen Vermögens, mit dem Ziel, seine Frau und die drei Töchter gewissenhaft zu versorgen. Dabei machte er, ungeachtet seiner nahezu einundsechzig Jahre, einen durchaus kräftigen und gesunden Eindruck. Er hatte es gewiß noch auf längere Zeit hinaus nicht nötig, sein Testament zu machen.
    Litt er also vielleicht an einer schleichenden Krankheit, von der nur sein Arzt und er etwas wußten, und sah er einem vorzeitigen Tod entgegen? Diese Ungewißheit hätte die Nerven der Clubmitglieder über die Maßen strapaziert, denn außer seinen eigenen Angelegenheiten ordnete Mr. Ferguson auch noch diejenigen des Krabbenfischers Sam Collins. Das heißt, er setzte eine bestimmte Lebensrente für Martha, die Frau des Fischers, und die nächsten Familienangehörigen fest.
    Eines Mittwoch abends endlich lehnte sich Ferguson mit einem zufriedenen Seufzer in seinem Bürosessel zurück. Alle Papiere lagen, sauber geordnet und etikettiert, vor ihm auf dem Schreibtisch. Seine Arbeit war getan. Alles war geregelt. Nichts hatte er unerledigt gelassen. Sein Blick glitt langsam über die bekannten – allzu bekannten – vier Bürowände, den schweren Aktenschrank, die Regale mit den vielen aufgereihten Ordnern, den vergilbten Stadtplan. Merkwürdig, daß er nach so langen Dienstjahren keinerlei Zuneigung zu diesem Ort seines Wirkens empfand – und erst recht kein Abschiedsweh.
    Er stand auf, reckte und streckte sich, rückte seinen Schlips gerade und betrachtete sich in dem kleinen Spiegel neben dem Kamin.
    »Du bist bald einundsechzig«, sagte er zu seinem Gegenüber, »und bis jetzt nur ein lachhafter alter Trottel gewesen…«, was er mit einem fröhlichen Lachen bekräftigte.

    Zwanzig Minuten später stand Ferguson auf der – bei Ebbe freien – Sandbank neben seinem Boot und begutachtete den Stand der Renovierungsarbeiten. Wie hatte sich die Adieu Sagesse in knapp drei Wochen verändert! Der Mast war abgehobelt und mit Karbolineum getränkt, der Rumpf frisch gestrichen, das Deck abgespänt und penibel gescheuert. Die Takellage war in Reih und Glied, und das Focksegel – ein mißfarbenes, teilweise geflicktes, aber starkes Tuch – wartete nur darauf, gehißt zu werden.

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