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DuMaurier, Daphne - Plötzlich an jenem Abend

DuMaurier, Daphne - Plötzlich an jenem Abend

Titel: DuMaurier, Daphne - Plötzlich an jenem Abend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unknown
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Auch unter Deck war alles reisefertig. Die Kojen hatten neue Matratzen, Kissen und Decken; die Uhr ging wieder, Ölofen und Kochherd waren mit Brennvorrat ausgestattet. Die Regale waren gefüllt, in der Kombüse fehlte keine Pfanne, und alles nötige Geschirr war vorhanden. Ferguson war an Bord gegangen, um sich selbst zu überzeugen, und sah, daß wirklich nichts vergessen war.
    »Sam!« rief er leise. »Wo hast du dich versteckt?« Ein Stückchen Schifferkrause erschien hinter dem Ruderhaus.
    »Sam Collins hier«, meldete sich eine heisere Stimme. »Hab nur eben noch rein Schiff gemacht. Genau nach Bristol-Vorschrift.«
    Sams äußere Erscheinung hätte seine Frau aufstöhnen lassen. Seine Jacke war mit Teer beschmiert, seine Wasserstiefel waren schlamm- und dreckverkrustet, ein uralter Südwester balancierte kühn auf seinem Kopf, und an der Unterlippe klebte ihm ein Zigarettenstummel.
    »Nanu, wo hast du deine Sonntagskluft gelassen?« fragte Ferguson und kniff ein Auge zu.
    »Herrje, Sir! Das fragen Sie doch nicht im Ernst?« Sams Gesichtsausdruck war eine gelungene Parodie theatralischer Verzweiflung. »Tja, ehrlich, Sir – die hab ich in aller Stille im Ramschladen verkloppt. Geld kann man immer brauchen, nicht? Der Trödler hat die Klamotten aber immer noch zu billig gekriegt.«
    »Laß gut sein, Sam, die Zeit der steifen Kragen ist vorüber. Keine Zwangsjacken mehr für uns beide.«
    Sie schritten prüfend das Deck ab.
    »Wann ist wieder Flut?« fragte Ferguson.
    »In 'ner halben Stunde, Sir. Aber morgen kriegen wir um die Zeit schon zwei Faden mehr Wasser. Denken Sie dran.«
    »Genügt das zum Auslaufen?«
    »Klar. Das Boot hebt ab wie 'n Vogel. Macht uns keinen Ärger.«
    »Fein, Sam. Dann haben wir wohl nichts weiter zu bereden. Ich bin morgen pünktlich an Bord. Eh, nur noch eins… Keine Gewissensbisse oder so?«
    Sam spuckte statt jeder Antwort nur kurz über die Reling.
    »Wie wird das Wetter?« fragte Ferguson sachlich weiter.
    »Der Wind dreht sich. Wir kriegen 'ne steife Brise aus Südwest, wetten? Gerade recht für uns. Die Dingsda, die Sagesse, hält's aus. Die ist von so 'nem Sommerlüftchen nicht gleich umzuschmeißen.«
    »Ganz meine Meinung, Sam.«
    Zum Schluß kletterte Ferguson noch in das kleine Rettungsboot und studierte die Inschrift am Heck, die nicht mehr blaß, sondern aufgefrischt im letzten Abendlicht funkelte, als fordere sie die ganze Welt heraus. Adieu Sagesse!
    Die beiden Männer grinsten einander wortlos zu, bis Ferguson sich verabschiedete.
    »Bis morgen also, Sam.«
    »Aye, aye, Sir.«

    Ferguson stieg die steile Anhöhe hinauf, die zu seinem vielbeneideten Haus führte. Die Sonne war nun auch hinter den entfernteren Hügelketten gesunken, und in ihrem dunkelorangefarbenen Widerschein ballten sich graue Wolken zusammen. Von der Hafenmündung her schlug die steigende Flut in regelmäßigen Abständen gegen die Kaimauern. Es sah wieder nach Regen aus.
    Regen und Wind – nun ja, warum nicht? Unter Ferguson lag nur die gute Stadt Maltby, satt, spießig und selbstgerecht. Mittlerweile haßte er diese penetrante Selbstgefälligkeit, die sauberen Hausfassaden, die gepflegten Gärten mitsamt ihren abgezirkelten Beeten und Plattenwegen. Er haßte die alten Jungfern jeglichen Geschlechts, die hinter zugezogenen Gardinen an sogenannten »Spionen«, den in Maltby so beliebten Außenspiegelchen, lauerten. Er haßte die pensionierten Militärs, die auf der Esplanade paradierten, die ehrpusselige Kirchengemeinde, die Clubmitglieder, die geschwätzigen Ladeninhaber, die pedantischen Beamten – alle, alle, die dem Städtchen seine lebende Seele geraubt und ihm das Totensiegel der »reizvollen Küstenstadt« aufgedrückt hatten. Küstenstadt. Kurstadt. Wie er das alles verabscheute.
    Nur die Möwen waren noch echt, die stillen, ernsten Gewässer jenseits des Hafens, der Rauch, der aus den ärmeren Hütten der Vorstadt aufstieg, das Gurren der Tauben, die hohen Bäume am Abhang, die unnahbare Schönheit der See kurz nach Sonnenuntergang, die weichen Sommernebel vor und nach dem Regen… Nur diese Dinge zählten.
    Wohin es ihn auch treiben mochte: diese Unwägbarkeiten würde er in der Seele bewahren und lieben; aber Maltby war für ihn gestorben. Kein Trennungsschmerz, kein Bedauern, keine Furcht. Vor ihm lag etwas Großartiges, Berauschendes, Grenzenloses. Der Ruf, den er vernommen hatte, schwoll an und übertönte Maltbys Alltäglichkeit. Es war der Ruf des Lebens. Und da stand er nun –

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