Dumm gelaufen, Darling
einen noch unbeantworteten Heiratsantrag von einem anderen Mann einschlossen.
„Erzähl mir von der Zeit, nachdem du verschwunden bist.“ Tys Aufforderung lenkte sie glücklicherweise sowohl von ihren Gedanken als auch von ihren Emotionen ab.
Offensichtlich wollte er die Situation nicht weiter anheizen, was sie ebenso sehr erleichterte wie enttäuschte. „Sieh dich um. Mir geht es gut.“ Mehr als gut, wie ihre Firma bewies.
Doch noch während sie sprach, wurde ihr bewusst, dass sie nun schon zum zweiten Mal an diesem Abend ihr kleines Apartment und ihr kleines Leben vor sich verteidigte. Ohne Grund. Ty hatte sie nicht angegriffen. Sie war es nicht gewohnt, sich in der Defensive zu fühlen. Ihre Erfolge erfüllten sie normalerweise mit Stolz.
Tys Anwesenheit erinnerte sie an die guten und die schlechten Dinge in ihrer Vergangenheit und zwangen sie, sich einzugestehen, dass ihr Leben ganz anders verlaufen war, als sie es sich als Kind ausgemalt hatte. Es war nicht das Leben, das sich ihre Eltern für sie gewünscht hatten, doch in Anbetracht dessen, was sie hatte durchmachen müssen, wären sie sicher stolz auf sie gewesen. Ein weiterer Grund dafür, dass ihr „Odd Jobs“ so viel bedeutete. Die Firma war etwas Greifbares. Sie bewies, dass Lilly Dumont überlebt hatte.
Ty nickte. „Dir geht es mehr als gut, doch was ich hier sehe, erklärt mir nicht, wie du hierhergekommen bist.“
Sie atmete tief durch. Sie ließ die Vergangenheit lieber Vergangenheit sein, doch als ihr ehemaliger Vertrauter hatte Ty ein Recht auf Antworten. Und vielleicht würde allein die Tatsache, darüber zu sprechen, ein wenig den Schmerz lindern, den sie in sich trug.
Sie blickte auf ihre ineinander verschränkten Hände; die Erinnerung an jene dunkle Nacht stieg in ihr hoch. „Ich lief etwa eine halbe Stunde lang stadtauswärts, und dort traf ich deinen Freund. Der, der Onkel Marcs Wagen gestohlen hatte. Wir fuhren an einen Ort, der weit genug weg war, sodass mich niemand erkennen würde. Und dann nahm ich den Bus nach New York.“
„Wie wir es geplant hatten.“
„Richtig.“ Nur hatte niemand weitergedacht als bis dort. „Im Bus bin ich zusammengeklappt und erst bei der Ankunft am nächsten Tag wieder aufgewacht. Ich hatte das bisschen Geld, das du und Hunter mir gegeben habt. Mal schlief ich bei der Heilsarmee, mal in einem Busterminal.“
Er stöhnte auf.
Sie ignorierte seine Reaktion und sprach weiter. „Ich schlug mich als Tellerwäscherin durch. Irgendwann traf ich ein Mädchen, das Apartments sauber machte. Sie arbeitete für eine Spanierin, die Immigrantinnen beschäftigte. Damals waren meine Hände vom Geschirrspülmittel und dem vielen Wasser rau genug, um sie irgendwie davon zu überzeugen, dass ich mit dem Job zurechtkäme. Das rettete mir das Leben, weil ich kaum noch Plätze fand, wo ich kostenlos oder günstig übernachten konnte, und weil es immer schwieriger wurde, sich vor den Freiern und Zuhältern an den Bus- und Bahnstationen zu verstecken.“
„Herrgott, Lacey, ich hatte ja keine Ahnung.“
Die aufrichtige Bestürzung in seiner Stimme berührte sie sehr. Sie wollte nicht, dass er sich verantwortlich fühlte für etwas, das er nicht verursacht hatte. Er hatte ihr das Leben gerettet, und das würde sie nie vergessen.
Er griff nach ihrer Hand. Zehn Jahre zu spät, und doch war es genau das, was sie jetzt brauchte.
„Keiner von uns hatte eine Ahnung.“ Sie schlang ihre Finger um seine. Die Wärme und Stärke seiner Hand gaben ihr die Kraft, fortzufahren. „Aber danach wurde es besser. Die Frau, die mir den Job gab, sie hieß Marina, ließ mich in ihrem Apartment auf dem Boden schlafen, bis ich eine schmutzige, aber billige Wohnung fand.“
„Wie schlimm war es?“
Sie wollte ihn nicht aufregen, doch er hatte gefragt. „Die Wohnung war mit Gesellschaft. Es gab Kakerlaken überall.“ Sie unterdrückte ein Schütteln angesichts der lebhaften Erinnerung. „Und ein Säufer wohnte nebenan. Er lief nachts gerne im Hausflur herum. Das Schloss an der Wohnungstür funktionierte nicht, und der Hausmeister scherte sich einen Dreck um meine Bitten, es zu reparieren. Ich konnte mir kein extra Schloss leisten, also schob ich nachts immer eine Kommode vor die Tür.“
„Gut“, sagte er und fuhr sich mit der Hand übers Gesicht.
Sie wusste nicht, was sie noch sagen sollte, und blieb daher stumm.
Schließlich räusperte er sich. „Und wie lebst du jetzt?“
Schon ein viel einfacheres Thema, dachte sie
Weitere Kostenlose Bücher